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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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würde sie schon noch
    schlucken, sie, die seit gestern am Daumen
    lutschte.
    Es war in der Rue de la Charbonnière, an der
    Ecke der Rue de Chartres, einer abscheulichen
    Kreuzung, an der der Wind
    VerwechseltdasBäumchen spielte. Verdammt
    noch mal! Es war nicht warm beim
    Pflastertreten. Hätte man wenigstens noch
    Pelze angehabt! Der Himmel behielt die
    häßliche Bleifarbe, und der dort oben
    angehäufte Schnee setzte dem Viertel eine
    Eismütze auf. Nichts kam herunter, aber in der
    Luft lag ein weites Schweigen, das eine völlige
    Verkleidung für Paris vorbereitete, ein
    hübsches, weißes und neues Ballkleid.
    Gervaise hob die Nase und bat den lieben
    Gott, seinen Musselin nicht sofort fallen zu
    lassen. Sie stapfte mit den Füßen, betrachtete
    dabei einen Kolonialwarenladen gegenüber
    und kehrte dann den Rücken, weil es zwecklos
    war, sich im voraus allzu hungrig zu machen.
    Die Straßenkreuzung bot keine Abwechslung.
    In Halstücher gewickelt, drückten sich die
    wenigen Passanten eiligst vorbei, denn man
    bummelt natürlich nicht, wenn die Kälte einem
    die Arschbacken zusammenkneift. Indessen
    gewahrte Gervaise vier oder fünf Frauen, die
    wie sie an der Tür des Bauklempnermeisters
    auf Wache zogen; bestimmt ebenfalls
    unglückliche Geschöpfe, Ehefrauen, die dem
    Lohn auflauerten, um zu verhindern, daß er
    zur Weinschenke entwischte. Da war eine
    richtige lange Schindmähre, eine
    Dragonergestalt, die sich an die Mauer
    drückte, bereit, ihrem Mann auf den Rücken
    zu springen. Auf der anderen Seite des
    Fahrdamms spazierte eine kleine, ganz
    schwarze, demütig und zart aussehende Frau
    auf und ab. Eine andere, die plump wirkte,
    hatte ihre beiden bibbernden und weinenden
    Knirpse mitgebracht, die sie rechts und links
    hinter sich herzog. Und alle, Gervaise wie ihre
    Posten stehenden Gefährtinnen, gingen auf
    und ab und warfen sich dabei kurze scheele
    Blicke zu, ohne miteinander zu sprechen. Ein
    angenehmes Zusammentreffen, ach ja, hat sich
    was! Sie brauchten keine Bekanntschaft zu
    schließen, um ihr Warenzeichen
    kennenzulernen. Sie wohnten alle unter
    demselben Firmenschild: bei Elend & Co. Es
    fror einen noch mehr, wenn man sah, wie sie
    bei dieser schrecklichen Januarwitterung
    schweigsam herumstampften und einander
    kreuzten.
    Doch bei dem Meister kam nicht eine Katze
    heraus. Endlich erschien ein Arbeiter, dann
    zwei, dann drei; doch diese waren zweifellos
    feine Kerle, die ihren Lohn getreulich
    heimbrachten; denn sie schüttelten den Kopf,
    als sie die vor der Werkstatt
    herumschleichenden Schatten gewahrten. Die
    lange Schindmähre preßte sich neben der Tür
    noch enger an die Mauer; und auf einmal fiel
    sie über einen bläßlichen kleinen Mann her,
    der vorsichtig den Kopf vorstreckte. Oh, das
    war schnell geregelt! Sie durchsuchte ihn, sie
    knapste ihm das Geld ab. Geschnappt, keine
    Kohlen mehr, nichts, um ein Schnäpschen zu
    trinken! Verärgert und verzweifelt folgte da
    der kleine Mann, große Kindertränen weinend,
    seinem Dragoner. Es kamen immer noch
    Arbeiter heraus, und als die beleibte
    Gevatterin mit ihren beiden Knirpsen näher
    getreten war, ging ein großer Brauner mit
    pfiffiger Miene, der sie erblickte, rasch wieder
    hinein, um den Ehemann zu warnen; als dieser
    schlenkernd ankam, hatte er zwei Hinterräder,
    zwei schöne neue Hundertsousstücke, beseite
    geschafft, in jeden Schuh eins. Er nahm eins
    seiner Gören auf den Arm, er ging davon und
    schwindelte dabei seiner Alten etwas vor, die
    ihn auszankte. Es waren lustige Brüder
    darunter, die mit einem Satz auf die Straße
    sprangen und es eilig hatten, davonzulaufen
    und ihren Vierzehntagelohn mit ihren
    Freunden zu verfuttern. Es waren auch finstere
    Kerle mit elender Miene darunter, die in ihrer
    verkrampften Faust den Lohn für drei oder
    vier Tage umschlossen, die sie von vierzehn
    Tagen gearbeitet hatten, sich Faulenzer
    schimpften und Säuferschwüre leisteten. Das
    traurigste aber war der Schmerz der
    schwarzen, demütigen und zarten kleinen
    Frau: ihr Mann, ein hübscher Bursche, hatte
    sich soeben vor ihrer Nase aus dem Staube
    gemacht, und zwar so brutal, daß er sie
    beinahe zu Boden geworfen hätte; und an den
    Läden entlang wankend, alle Tränen ihres
    Leibes herausweinend, ging sie allein nach
    Hause. Schließlich hatte der Vorbeimarsch
    aufgehört. Gervaise, die aufrecht mitten auf
    der Straße stand, schaute zur Tür hin. Das
    begann faul zu riechen. Es ließen sich noch
    zwei verspätete

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