Der Todschlaeger
schnatterten. Sie glaubte, man warte
auf sie, um Neuigkeiten zu erfahren wie an
den anderen Tagen.
»Er ist abgekratzt«, sagte sie ruhig, während
sie die Tür zustieß, und sah abgehetzt und
vertiert aus.
Aber man hörte ihr nicht zu. Das ganze Haus
war in heller Aufregung. Oh, eine
unbezahlbare Geschichte! Poisson hatte seine
Frau mit Lantier erwischt. Man wußte nicht
genau, wie sich das zugetragen, weil jeder es
auf seine Weise erzählte. Kurz und gut, er war
ihnen in dem Augenblick unvermutet auf den
Hals gekommen, als die beiden anderen ihn
nicht erwarteten. Man fügte sogar Einzelheiten
hinzu, die die Damen untereinander
wiederholten, während sie die Lippen
verkniffen. Ein derartiger Anblick hatte
Poisson natürlich aus der Haut fahren lassen.
Ein wahrer Tiger! Dieser wenig gesprächige
Mann, der mit einem Stock im Hintern zu
gehen schien, hatte angefangen zu brüllen und
umherzuspringen. Dann hatte man nichts mehr
gehört. Lantier mußte dem Ehemann die
Angelegenheit erklärt haben. Gleichviel, es
konnte nicht mehr so weitergehen. Und Boche
verkündete, die Kellnerin von der
Gastwirtschaft nebenan nehme den Laden
bestimmt, um darin ein Kaldaunengeschäft
einzurichten. Der Hutmacher, dieser
Schlauberger, schwärme für Kaldaunen.
Als Gervaise unterdessen Frau Lorilleux mit
Frau Lerat eintreffen sah, wiederholte sie
kraftlos:
»Er ist abgekratzt ... Mein Gott! Vier Tage
lang strampeln und brüllen ...«
Da konnten die beiden Schwestern nicht
anders als ihre Taschentücher zücken. Ihr
Bruder habe sehr viele Fehler gehabt, aber
schließlich sei er ihr Bruder gewesen.
Boche zuckte die Achseln und sagte ziemlich
laut, damit ihn alle verstehen konnten:
»Pah! Ein Säufer weniger!«
Da Gervaise oft den Kopf verlor, war es von
diesem Tage an eine der Sehenswürdigkeiten
des Hauses, ihr zuzuschauen, wie sie Coupeau
nachmachte. Man brauchte sie nicht mehr zu
bitten, sie gab die Vorstellung gratis, zitterte
an Füßen und Händen und stieß
unbeabsichtigte leise Schreie aus. Zweifellos
hatte sie sich diesen Tick in SainteAnne
geholt, indem sie ihrem Mann zu lange
zugeschaut hatte. Aber sie hatte kein Glück,
sie verreckte nicht daran wie er. Es
beschränkte sich auf die Grimassen eines
entsprungenen Affen, die bewirkten, daß die
Bengel auf den Straßen Kohlstrünke nach ihr
warfen.
Gervaise hielt es so monatelang aus. Sie kam
noch weiter herunter, ließ sich die gemeinsten
Beschimpfungen gefallen, verhungerte
tagtäglich ein wenig. Sobald sie ein paar Sous
besaß, trank sie und torkelte gegen die Wände.
Man übertrug ihr die schmutzigen
Verrichtungen des Viertels. Eines Abends
hatte man gewettet, daß sie etwas Ekelhaftes
nicht essen würde; und sie hatte es gegessen,
um zehn Sous zu verdienen. Herr Marescot
hatte sich entschlossen, sie aus der Stube im
sechsten Stock zu exmittieren. Da man aber
Vater Bru gerade tot in seinem Loch unter der
Treppe gefunden hatte, hatte der Hausbesitzer
geruht, ihr diese Nische zu überlassen. Nun
hauste sie in Vater Brus Nische. Mit leerem
Bauch und zu Eis erstarrten Knochen klapperte
sie nun darin auf altem Stroh mit den Zähnen.
Die Erde wollte sie anscheinend nicht haben.
Sie verblödete, sie dachte nicht einmal daran,
sich vom sechsten Stock auf das Pflaster des
Hofes zu stürzen, um dem ein Ende zu
machen. Der Tod mußte sie nach und nach,
Stück für Stück zu sich nehmen, indem er sie
so in dem verdammten Dasein, das sie sich
bereitet hatte, bis ans Ende schleppte. Man
erfuhr sogar niemals genau, woran sie
gestorben war. Man sprach von einer
fieberhaften Erkältung. Aber die Wahrheit
war, daß sie am Elend, am Unrat und an den
Strapazen ihres verpfuschten Lebens
verschied. Sie verreckte, Lorilleux' Bemerkung
zufolge, am Schlapp werden. Als es eines
Morgens schlecht auf dem Korridor roch,
entsann man sich, daß man sie seit zwei Tagen
nicht gesehen hatte; und man entdeckte sie
schon ganz grün in ihrer Nische.
Es war ausgerechnet Vater Bazouge, der mit
dem Armensarg unter dem Arm kam, um sie
zu verpacken. Er was an diesem Tage wieder
ganz schön besoffen, aber trotzdem ein
lustiger Bruder und kreuzfidel. Als er die
Kundin erkannte, mit der er es zu tun hatte,
gab er philosophische Betrachtungen von sich,
während er sein kleines Werk verrichtete.
»Jedermann muß dran glauben ... Man braucht
nicht zu drängeln, es ist Platz für alle da ...
Und es ist dumm, es eilig zu
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