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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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schnatterten. Sie glaubte, man warte
    auf sie, um Neuigkeiten zu erfahren wie an
    den anderen Tagen.
    »Er ist abgekratzt«, sagte sie ruhig, während
    sie die Tür zustieß, und sah abgehetzt und
    vertiert aus.
    Aber man hörte ihr nicht zu. Das ganze Haus
    war in heller Aufregung. Oh, eine
    unbezahlbare Geschichte! Poisson hatte seine
    Frau mit Lantier erwischt. Man wußte nicht
    genau, wie sich das zugetragen, weil jeder es
    auf seine Weise erzählte. Kurz und gut, er war
    ihnen in dem Augenblick unvermutet auf den
    Hals gekommen, als die beiden anderen ihn
    nicht erwarteten. Man fügte sogar Einzelheiten
    hinzu, die die Damen untereinander
    wiederholten, während sie die Lippen
    verkniffen. Ein derartiger Anblick hatte
    Poisson natürlich aus der Haut fahren lassen.
    Ein wahrer Tiger! Dieser wenig gesprächige
    Mann, der mit einem Stock im Hintern zu
    gehen schien, hatte angefangen zu brüllen und
    umherzuspringen. Dann hatte man nichts mehr
    gehört. Lantier mußte dem Ehemann die
    Angelegenheit erklärt haben. Gleichviel, es
    konnte nicht mehr so weitergehen. Und Boche
    verkündete, die Kellnerin von der
    Gastwirtschaft nebenan nehme den Laden
    bestimmt, um darin ein Kaldaunengeschäft
    einzurichten. Der Hutmacher, dieser
    Schlauberger, schwärme für Kaldaunen.
    Als Gervaise unterdessen Frau Lorilleux mit
    Frau Lerat eintreffen sah, wiederholte sie
    kraftlos:
    »Er ist abgekratzt ... Mein Gott! Vier Tage
    lang strampeln und brüllen ...«
    Da konnten die beiden Schwestern nicht
    anders als ihre Taschentücher zücken. Ihr
    Bruder habe sehr viele Fehler gehabt, aber
    schließlich sei er ihr Bruder gewesen.
    Boche zuckte die Achseln und sagte ziemlich
    laut, damit ihn alle verstehen konnten:
    »Pah! Ein Säufer weniger!«
    Da Gervaise oft den Kopf verlor, war es von
    diesem Tage an eine der Sehenswürdigkeiten
    des Hauses, ihr zuzuschauen, wie sie Coupeau
    nachmachte. Man brauchte sie nicht mehr zu
    bitten, sie gab die Vorstellung gratis, zitterte
    an Füßen und Händen und stieß
    unbeabsichtigte leise Schreie aus. Zweifellos
    hatte sie sich diesen Tick in SainteAnne
    geholt, indem sie ihrem Mann zu lange
    zugeschaut hatte. Aber sie hatte kein Glück,
    sie verreckte nicht daran wie er. Es
    beschränkte sich auf die Grimassen eines
    entsprungenen Affen, die bewirkten, daß die
    Bengel auf den Straßen Kohlstrünke nach ihr
    warfen.
    Gervaise hielt es so monatelang aus. Sie kam
    noch weiter herunter, ließ sich die gemeinsten
    Beschimpfungen gefallen, verhungerte
    tagtäglich ein wenig. Sobald sie ein paar Sous
    besaß, trank sie und torkelte gegen die Wände.
    Man übertrug ihr die schmutzigen
    Verrichtungen des Viertels. Eines Abends
    hatte man gewettet, daß sie etwas Ekelhaftes
    nicht essen würde; und sie hatte es gegessen,
    um zehn Sous zu verdienen. Herr Marescot
    hatte sich entschlossen, sie aus der Stube im
    sechsten Stock zu exmittieren. Da man aber
    Vater Bru gerade tot in seinem Loch unter der
    Treppe gefunden hatte, hatte der Hausbesitzer
    geruht, ihr diese Nische zu überlassen. Nun
    hauste sie in Vater Brus Nische. Mit leerem
    Bauch und zu Eis erstarrten Knochen klapperte
    sie nun darin auf altem Stroh mit den Zähnen.
    Die Erde wollte sie anscheinend nicht haben.
    Sie verblödete, sie dachte nicht einmal daran,
    sich vom sechsten Stock auf das Pflaster des
    Hofes zu stürzen, um dem ein Ende zu
    machen. Der Tod mußte sie nach und nach,
    Stück für Stück zu sich nehmen, indem er sie
    so in dem verdammten Dasein, das sie sich
    bereitet hatte, bis ans Ende schleppte. Man
    erfuhr sogar niemals genau, woran sie
    gestorben war. Man sprach von einer
    fieberhaften Erkältung. Aber die Wahrheit
    war, daß sie am Elend, am Unrat und an den
    Strapazen ihres verpfuschten Lebens
    verschied. Sie verreckte, Lorilleux' Bemerkung
    zufolge, am Schlapp werden. Als es eines
    Morgens schlecht auf dem Korridor roch,
    entsann man sich, daß man sie seit zwei Tagen
    nicht gesehen hatte; und man entdeckte sie
    schon ganz grün in ihrer Nische.
    Es war ausgerechnet Vater Bazouge, der mit
    dem Armensarg unter dem Arm kam, um sie
    zu verpacken. Er was an diesem Tage wieder
    ganz schön besoffen, aber trotzdem ein
    lustiger Bruder und kreuzfidel. Als er die
    Kundin erkannte, mit der er es zu tun hatte,
    gab er philosophische Betrachtungen von sich,
    während er sein kleines Werk verrichtete.
    »Jedermann muß dran glauben ... Man braucht
    nicht zu drängeln, es ist Platz für alle da ...
    Und es ist dumm, es eilig zu

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