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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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wollte, daß sie nicht nur so tue, um
    sich bitten zu lassen, begann sie trotzdem zwei
    oder drei kleine Sprünge; aber ihr wurde ganz
    komisch, sie schreckte zurück; Ehrenwort, sie
    könne nicht. Ein Murmeln der Enttäuschung
    lief um: das sei schade, sie mache das
    vortrefflich nach. Aber schließlich, wenn sie
    nicht könne! Und als Virginie in ihren Laden
    zurückkehrte, vergaß man Vater Coupeau, um
    sich lebhaft über das Ehepaar Poisson zu
    unterhalten – eine tolle Wirtschaft jetzt;
    gestern seien die Gerichtsvollzieher
    gekommen; der Polizist würde seine Stellung
    verlieren; was Lantier betreffe, so
    scharwenzele er um die Kellnerin von der
    Gastwirtschaft nebenan herum, eine prächtige
    Frau, die davon spreche, sich als
    Kaldaunenhändlerin niederzulassen. Wahrlich,
    darüber wurde geulkt, man sah schon, wie sich
    eine Kaldaunenhändlerin in dem Laden
    niederließ; nach der Leckerei etwas
    Herzhaftes. Poisson, dieser Hahnrei, habe bei
    alldem einen Verstand wie ein Dummkopf;
    zum Teufel, wieso zeige sich ein Mann, dessen
    Beruf es sei, gewitzt zu sein, zu Hause so
    dämlich? Aber man verstummte jäh, als man
    Gervaise gewahrte, zu der man nicht mehr
    hinsah und die im Hintergrund der Loge ganz
    allein probierte, mit Händen und Füßen zu
    zittern und Coupeau nachzuahmen. Bravo!
    Recht so, mehr verlange man ja nicht. Sie
    verharrte stumpfsinnig und sah aus, als
    erwache sie aus einem Traum. Dann machte
    sie sich schleunigst davon. Schönen guten
    Abend, alle miteinander! Und sie ging hinauf,
    um zu versuchen, ob sie schlafen könnte.
    Am folgenden Tage sahen die Boches sie
    mittags losgehen wie an den anderen beiden
    Tagen. Sie wünschten ihr viel Vergnügen. An
    diesem Tage bebte der Korridor im Hospital
    SainteAnne von Coupeaus Gebrüll und
    Fersenhieben. Sie hielt noch das
    Treppengeländer fest, als sie ihn schon heulen
    hörte:
    »Da sind Wanzen! – Kommt mal ein bißchen
    her, damit ich euch auseinandernehme! – Ah,
    sie wollen mich abmurksen, ah, diese Wanzen!
    – Ich bin gewiefter als ihr alle! Macht euch
    dünne, Himmelsakrament!«
    Einen Augenblick verschnaufte sie vor der
    Tür. Er schlug sich also mit einer ganzen
    Armee herum! Als sie eintrat, wurde das noch
    schlimmer und noch schöner. Coupeau war
    tobsüchtig, ein aus Charenton103
    Entsprungener! Er rackerte sich ab in der Mitte
    der Zelle, fuhr überall mit den Händen herum,
    an sich selbst, an den Wänden, an der Erde,
    purzelte umher und schlug ins Leere; er wollte
    das Fenster öffnen, versteckte sich, wehrte
    sich, rief, antwortete, veranstaltete ganz allein
    diesen Hexensabbat, sah aufgebracht aus wie
    jemand, der von einem Haufen Leuten wie von
    einem Alpdruck gequält wird. Dann begriff
    Gervaise, daß er sich einbildete, er sei auf
    einem Dach, sei dabei, Zinkplatten zu legen.
    Mit seinem Mund machte er den Blasebalg, er
    rückte Lötkolben im Kohlenbecken hin und
    her und ließ sich auf die Knie nieder, um mit
    dem Daumen über die Ränder der Strohmatte
    zu fahren, wobei er glaubte, daß er sie löte. Ja,
    im Augenblick des Verreckens fiel ihm sein
    Handwerk wieder ein; und wenn er so laut
    brüllte, wenn er sich auf seinem Dach
    herumbog, so deshalb, weil Flegel ihn daran
    hinderten, seine Arbeit sauber auszuführen.
    Auf allen Nachbardächern waren Lumpen, die
    ihn ärgerten. Dazu ließen diese Aufschneider
    Scharen von Ratten auf seine Beine los. Oh,
    diese dreckigen Tiere, er sah sie immerzu! Er
    konnte noch so viele zertreten, indem er aus
    Leibeskräften mit dem Fuß auf dem Boden
    herumrieb, es kamen immer neue Haufen
    herüber, das Dach war schwarz von ihnen.
    Waren nicht auch Spinnen da? Ungestüm zog
    er seine Hose zusammen, um dicke Spinnen an
    seinem Schenkel zu töten, die sich dort
    verkrochen hatten. Himmeldonnerwetter! Er
    würde ja nie mit seinem Tagewerk fertig
    werden, man wollte ihn zugrunde richten, sein
    Meister würde ihn ins Gefängnis Mazas104
    schicken. Als er sich beeilte, da glaubte er, er
    habe eine Dampfmaschine im Bauch; mit weit
    aufgerissenem Mund blies er Rauch aus, einen
    dichten Rauch, der die Zelle anfüllte und zum
    Fenster hinausdrang; und während er sich
    immerzu blasend vorbeugte, sah er zu, wie
    sich draußen das Rauchband ausbreitete und
    zum Himmel emporstieg, wo es die Sonne
    verbarg.
    »Da!« schrie er. »Das ist die Horde von der
    Chaussée de Clignancourt, als Bären
    verkleidet, mit ihrem Trara ...«
    Er blieb vor dem Fenster hocken, als verfolge
    er von der Höhe eines

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