Der Todschlaeger
wollte, daß sie nicht nur so tue, um
sich bitten zu lassen, begann sie trotzdem zwei
oder drei kleine Sprünge; aber ihr wurde ganz
komisch, sie schreckte zurück; Ehrenwort, sie
könne nicht. Ein Murmeln der Enttäuschung
lief um: das sei schade, sie mache das
vortrefflich nach. Aber schließlich, wenn sie
nicht könne! Und als Virginie in ihren Laden
zurückkehrte, vergaß man Vater Coupeau, um
sich lebhaft über das Ehepaar Poisson zu
unterhalten – eine tolle Wirtschaft jetzt;
gestern seien die Gerichtsvollzieher
gekommen; der Polizist würde seine Stellung
verlieren; was Lantier betreffe, so
scharwenzele er um die Kellnerin von der
Gastwirtschaft nebenan herum, eine prächtige
Frau, die davon spreche, sich als
Kaldaunenhändlerin niederzulassen. Wahrlich,
darüber wurde geulkt, man sah schon, wie sich
eine Kaldaunenhändlerin in dem Laden
niederließ; nach der Leckerei etwas
Herzhaftes. Poisson, dieser Hahnrei, habe bei
alldem einen Verstand wie ein Dummkopf;
zum Teufel, wieso zeige sich ein Mann, dessen
Beruf es sei, gewitzt zu sein, zu Hause so
dämlich? Aber man verstummte jäh, als man
Gervaise gewahrte, zu der man nicht mehr
hinsah und die im Hintergrund der Loge ganz
allein probierte, mit Händen und Füßen zu
zittern und Coupeau nachzuahmen. Bravo!
Recht so, mehr verlange man ja nicht. Sie
verharrte stumpfsinnig und sah aus, als
erwache sie aus einem Traum. Dann machte
sie sich schleunigst davon. Schönen guten
Abend, alle miteinander! Und sie ging hinauf,
um zu versuchen, ob sie schlafen könnte.
Am folgenden Tage sahen die Boches sie
mittags losgehen wie an den anderen beiden
Tagen. Sie wünschten ihr viel Vergnügen. An
diesem Tage bebte der Korridor im Hospital
SainteAnne von Coupeaus Gebrüll und
Fersenhieben. Sie hielt noch das
Treppengeländer fest, als sie ihn schon heulen
hörte:
»Da sind Wanzen! – Kommt mal ein bißchen
her, damit ich euch auseinandernehme! – Ah,
sie wollen mich abmurksen, ah, diese Wanzen!
– Ich bin gewiefter als ihr alle! Macht euch
dünne, Himmelsakrament!«
Einen Augenblick verschnaufte sie vor der
Tür. Er schlug sich also mit einer ganzen
Armee herum! Als sie eintrat, wurde das noch
schlimmer und noch schöner. Coupeau war
tobsüchtig, ein aus Charenton103
Entsprungener! Er rackerte sich ab in der Mitte
der Zelle, fuhr überall mit den Händen herum,
an sich selbst, an den Wänden, an der Erde,
purzelte umher und schlug ins Leere; er wollte
das Fenster öffnen, versteckte sich, wehrte
sich, rief, antwortete, veranstaltete ganz allein
diesen Hexensabbat, sah aufgebracht aus wie
jemand, der von einem Haufen Leuten wie von
einem Alpdruck gequält wird. Dann begriff
Gervaise, daß er sich einbildete, er sei auf
einem Dach, sei dabei, Zinkplatten zu legen.
Mit seinem Mund machte er den Blasebalg, er
rückte Lötkolben im Kohlenbecken hin und
her und ließ sich auf die Knie nieder, um mit
dem Daumen über die Ränder der Strohmatte
zu fahren, wobei er glaubte, daß er sie löte. Ja,
im Augenblick des Verreckens fiel ihm sein
Handwerk wieder ein; und wenn er so laut
brüllte, wenn er sich auf seinem Dach
herumbog, so deshalb, weil Flegel ihn daran
hinderten, seine Arbeit sauber auszuführen.
Auf allen Nachbardächern waren Lumpen, die
ihn ärgerten. Dazu ließen diese Aufschneider
Scharen von Ratten auf seine Beine los. Oh,
diese dreckigen Tiere, er sah sie immerzu! Er
konnte noch so viele zertreten, indem er aus
Leibeskräften mit dem Fuß auf dem Boden
herumrieb, es kamen immer neue Haufen
herüber, das Dach war schwarz von ihnen.
Waren nicht auch Spinnen da? Ungestüm zog
er seine Hose zusammen, um dicke Spinnen an
seinem Schenkel zu töten, die sich dort
verkrochen hatten. Himmeldonnerwetter! Er
würde ja nie mit seinem Tagewerk fertig
werden, man wollte ihn zugrunde richten, sein
Meister würde ihn ins Gefängnis Mazas104
schicken. Als er sich beeilte, da glaubte er, er
habe eine Dampfmaschine im Bauch; mit weit
aufgerissenem Mund blies er Rauch aus, einen
dichten Rauch, der die Zelle anfüllte und zum
Fenster hinausdrang; und während er sich
immerzu blasend vorbeugte, sah er zu, wie
sich draußen das Rauchband ausbreitete und
zum Himmel emporstieg, wo es die Sonne
verbarg.
»Da!« schrie er. »Das ist die Horde von der
Chaussée de Clignancourt, als Bären
verkleidet, mit ihrem Trara ...«
Er blieb vor dem Fenster hocken, als verfolge
er von der Höhe eines
Weitere Kostenlose Bücher