Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
schrecklich
    aus, ging rückwärts und fuchtelte dabei heftig
    mit den Armen, wie um die gräßliche Szene
    wegzuschieben. Er stieß zwei herzzerreißende
    Klageschreie aus, er fiel rücklings der Länge
    nach auf die Matratze, in der sich seine Fersen
    verfangen hatten.
    »Herr Doktor, Herr Doktor, er ist tot!« sagte
    Gervaise mit gefalteten Händen.
    Der Assistenzarzt war herzugetreten und zog
    Coupeau in die Mitte der Matratze. Nein, er
    war nicht tot. Man hatte ihm die Schuhe
    ausgezogen; seine nackten Füße guckten unten
    hervor; und sie tanzten von selber
    nebeneinander im Takt eines schnellen und
    regelmäßigen Tänzchens.
    Gerade trat der Chefarzt ein. Er brachte zwei
    Kollegen mit, einen mageren und einen
    dicken, die ebenso wie er mit Orden
    geschmückt waren. Alle drei beugten sich
    nieder, ohne etwas zu sagen, und betrachteten
    den Mann überall; dann besprachen sie sich
    schnell mit halber Stimme. Sie hatten den
    Mann von den Schenkeln bis zu den Schultern
    entblößt, und Gervaise sah, als sie sich
    emporreckte, diesen zur Schau gestellten
    nackten Oberkörper. Na ja, es war komplett,
    das Zittern war von den Armen hinabgefahren
    und von den Beinen emporgestiegen, jetzt
    beteiligte sich selbst der Rumpf an der
    Heiterkeit! Tatsächlich, der Hampelmann ulkte
    auch mit dem Bauch. Es waren Lachschauer
    längs der Rippen, eine Atemlosigkeit des
    Wanstes, der vor Lachen zu platzen schien.
    Und alles war in Bewegung, das war nicht zu
    bestreiten! Die Muskeln nahmen einander
    gegenüber Aufstellung, die Haut vibrierte wie
    eine Trommel, die Haare tanzten Walzer und
    verneigten sich dabei voreinander. Kurz, das
    mußte das große Klarmachen zum Kampfe
    sein, so eine Art Schlußgalopp, wenn der Tag
    anbricht und sich alle Tänzer an den Pfoten
    halten und mit den Absätzen aufstampfen.
    »Er schläft«, murmelte der Chefarzt. Und er
    machte die beiden anderen auf das Gesicht des
    Mannes aufmerksam.
    Coupeau, dessen Lider geschlossen waren,
    hatte schwache nervöse Zuckungen, die ihm
    das ganze Gesicht verzerrten. Er sah noch
    abscheulicher aus, so zerschmettert mit der
    vorspringenden Kinnlade, mit der entstellten
    Maske eines Toten, der Alpdrücken gehabt
    haben mußte. Als die Ärzte aber die Füße
    bemerkt hatten, beugten sie mit einer Miene
    tiefen Interesses ihre Nasen darüber. Die Füße
    tanzten immer noch. Mochte Coupeau auch
    schlafen, die Füße tanzten! Oh, ihr Herr
    konnte schnarchen, das kümmerte sie nicht, sie
    machten ihren alten Trott weiter, ohne sich zu
    beeilen oder langsamer zu werden. Richtige
    mechanische Füße, Füße, die ihr Vergnügen
    wahrnahmen, wo sie es fanden.
    Als Gervaise jedoch gesehen hatte, wie die
    Ärzte ihre Hände auf den Oberkörper ihres
    Mannes legten, wollte sie ihn ebenfalls
    befühlen. Sie trat behutsam näher, legte ihm
    die Hand auf eine Schulter. Und sie ließ sie
    eine Minute liegen. Mein Gott, was ging denn
    da drin vor? Das tanzte ja bis auf den Grund
    des Fleisches; die Knochen selber mußten
    hüpfen. Schauer und Schwingungswellen
    kamen von fern heran, strömten gleich einem
    Fluß unter der Haut dahin. Wenn sie ein wenig
    drückte, spürte sie die Schmerzensschreie des
    Marks. Mit bloßem Auge sah man nur die
    kleinen Wellen, die Grübchen aushoben, wie
    an der Oberfläche eines Strudels; im Innern
    aber mußte eine schöne Verwüstung
    herrschen. Welch ein verdammtes Arbeiten!
    Das Arbeiten eines Maulwurfs! Das war der
    Sprit aus dem »Assommoir«, aus dem
    »Totschläger«, der dort unten Schläge mit der
    Hacke vollführte. Der ganze Körper war davon
    durchtränkt, und wahrlich, diese Arbeit müßte
    zu Ende gehen, indem sie Coupeau
    zerbröckelte, fortraffte im allgemeinen und
    steten Zittern des ganzen Gerippes.
    Die Ärzte waren weggegangen. Nach einer
    Stunde wiederholte Gervaise, die mit dem
    Assistenzarzt zurückgeblieben war, mit leiser
    Stimme:
    »Herr Doktor, Herr Doktor, er ist tot ...«
    Aber der Assistenzarzt, der die Füße
    betrachtete, schüttelte verneinend den Kopf.
    Die nackten Füße außerhalb des Bettes tanzten
    immer noch. Sie waren nicht gerade sauber
    und hatten lange Zehennägel. Es vergingen
    noch Stunden. Auf einmal wurden sie steif,
    regungslos. Da wandte sich der Assistenzarzt
    zu Gervaise und sagte:
    »Es ist soweit.«
    Der Tod allein hatte die Füße zum Stillstand
    gebracht.
    Als Gervaise in die Rue de la Goutted'Or
    heimkam, fand sie bei den Boches einen
    Haufen Klatschbasen vor, die mit erregter
    Stimme

Weitere Kostenlose Bücher