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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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kleine Frau von
    fünfundvierzig Jahren, die in ein altes
    kastanienbraunes Mieder eingeknöpft war,
    bügelte ohne einen Tropfen Schweiß. Nicht
    einmal ihre Haube hatte sie abgenommen, eine
    schwarze, mit grünen, gelblich verschossenen
    Bändern besetzte Haube. Steif verharrte sie
    vor dem Arbeitstisch, der zu hoch für sie war,
    hatte die Ellbogen nach oben gedrückt und
    stieß ihr Eisen mit den abgehackten
    Bewegungen einer Marionette vorwärts. Auf
    einmal rief sie:
    »Ach nein, Mademoiselle Clémence, ziehen
    Sie Ihre Unterjacke wieder an. Wissen Sie, ich
    habe Unanständigkeiten nicht gern. Wenn Sie
    so dastehen, zeigen Sie ja Ihren ganzen
    Kramladen. Da drüben sind schon drei Männer
    stehengeblieben.«
    Die lange Clémence schalt sie, zwischen den
    Zähnen brummelnd, eine alte Ziege. Sie
    ersticke ja, sie könne es sich doch bequem
    machen; nicht alle hätten so eine Haut zum
    Verlieben. Übrigens, sehe man denn etwas?
    Und sie hob die Arme, ihr mächtiger Busen,
    der Busen eines schönen Mädchens, zerplatzte
    schier ihr Hemd, ihre Schultern brachten die
    kurzen Ärmel zum Krachen. Clémence lebte
    so drauflos, daß sie mit dreißig Jahren kein
    Mark mehr in den Knochen haben würde; am
    Tage nach solchen bedenklichen
    Ausschweifungen spürte sie den
    Fliesenfußboden nicht mehr unter den Füßen,
    schlief bei der Arbeit ein, Kopf und Bauch wie
    mit Lumpen vollgestopft. Aber man behielt sie
    trotzdem, denn keine Arbeiterin konnte sich
    schmeicheln, ein Männerhemd mit solchem
    Schick zu plätten wie sie. Männerhemden
    waren ihre Spezialität.
    »Das gehört mir, sage ich Ihnen«, erklärte sie
    schließlich und klatschte sich dabei auf den
    Busen. »Und das beißt nicht, das tut
    niemandem weh.«
    »Clémence, ziehen Sie Ihre Unterjacke wieder
    an«, sagte Gervaise. »Madame Putois hat
    recht, das schickt sich nicht ... Man könnte
    mein Geschäft ja für etwas halten, was es nicht
    ist.«
    Daraufhin zog sich die lange Clémence
    murrend wieder an. So ein Gejammer! Als ob
    die Vorübergehenden noch nie ein Paar Titten
    gesehen hätten! Und sie ließ ihren Zorn an
    dem Lehrmädchen, dieser Schielliese
    Augustine, aus, die neben ihr glatte Wäsche,
    Strümpfe und Taschentücher, plättete; sie
    rempelte sie an, stieß sie mit dem Ellbogen.
    Aber Augustine, die zänkisch und von der
    tückischen Bösartigkeit eines mißgestalteten
    Wesens und Sündenbocks war, spuckte ihr, um
    sich zu rächen, unbemerkt von hinten aufs
    Kleid.
    Gervaise hatte jedoch soeben eine Haube
    angefangen, die Frau Boche gehörte und die
    sie sorgfältig behandeln wollte. Um sie wieder
    neu herzurichten, hatte sie gekochte Stärke
    zubereitet. Behutsam fuhr sie mit einem
    kleinen, an beiden Enden abgerundeten
    Bügeleisen auf der Innenseite hin und her, als
    eine knochige Frau mit rotfleckigem Gesicht
    und durchnäßten Röcken eintrat. Es war eine
    Waschmeisterin, die drei Arbeiterinnen in dem
    Waschhaus in der Rue Neuve de la Goutted'Or
    beschäftigte.
    »Sie kommen zu früh, Madame Bijard!« rief
    Gervaise. »Ich hatte doch heute abend
    gesagt ... Im Augenblick stören Sie mich ganz
    schön!«
    Aber als die Wäscherin jammerte, weil sie
    fürchtete, nicht mehr am gleichen Tag
    ablaugen zu können, war Gervaise gern bereit,
    ihr die schmutzige Wäsche sofort zu geben.
    Sie holten die Bündel aus der Stube links, in
    der Etierine schlief, und kamen mit riesigen
    Haufen im Arm zurück, die sie hinten im
    Laden auf dem Fliesenfußboden stapelten. Das
    Sortieren dauerte eine reichliche halbe Stunde.
    Gervaise machte Haufen um sich herum, warf
    jeweils die Männerhemden, die
    Frauenhemden, die Taschentücher, die
    Socken, die Wischtücher zusammen. Wenn ihr
    ein Stück eines neuen Kunden in die Hände
    kam, kennzeichnete sie es mit einem roten
    Fadenkreuz, um es wiederzuerkennen. In der
    heißen Luft stieg ein fader Gestank von all
    dieser durcheinandergewühlten schmutzigen
    Wäsche auf.
    »Na, das gast aber!« sagte Clémence und hielt
    sich die Nase zu.
    »Mein Gott, wenn es sauber wäre, würde man
    es uns ja nicht bringen«, erklärte Gervaise
    ruhig. »Dreck riecht nun mal nicht anders! –
    Vierzehn Frauenhemden haben wir gesagt,
    nicht wahr, Madame Bijard? – Fünfzehn,
    sechzehn, siebzehn ...« Sie zählte laut weiter.
    Sie ekelte sich nicht, weil sie an Unrat
    gewöhnt war; sie steckte ihre nackten und
    rosigen Arme mitten in die vor Dreck gelben
    Hemden, in die vom Fett des Abwaschwassers
    steif gewordenen Wischtücher und

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