Der Todschlaeger
die Kohlenhändlerin, erwiderte
ihren Gruß; sie war eine kleine, üppige Frau
mit schwarzem Gesicht und glänzenden
Augen, die faulenzte und mit Männern lachte
und dabei an ihrem Schaufenster lehnte, das
auf einen dunkelroten Hintergrund gemalte
Holzkloben mit der verworrenen Zeichnung
eines ländlichen Schweizerhauses schmückten.
Die Damen Cudorge, Mutter und Tochter, ihre
anderen Nachbarinnen, die den
Regenschirmladen hatten, ließen sich nie
sehen; ihr Schaufenster war düster, ihre Tür
geschlossen und mit zwei kleinen
Sonnenschirmen aus Zink geschmückt, die mit
einer dicken Schicht grellen Zinnoberrots
übermalt waren. Aber bevor Gervaise wieder
hineinging, warf sie stets einen kurzen Blick
auf die gegenüberliegende große, weiße
Mauer, die kein Fenster hatte, von einer
riesigen Toreinfahrt durchbrochen war, durch
die man auf einem mit zweirädrigen Karren
und Wägelchen mit hochgestellten Deichseln
überfüllten Hof das Lodern einer Schmiede
sah. Auf der Mauer stand in großen
Buchstaben das Wort »Hufschmiede«,
eingerahmt von einem Fächer aus Hufeisen.
Den ganzen Tag klangen die Hämmer auf dem
Amboß, und Feuersbrünste von Funken
erhellten das fahle Dunkel des Hofes. Und
unten an dieser Mauer war zwischen einer
Alteisenhändlerin und einer Händlerin mit
Pommes frites hinten in einem
kleiderschrankgroßen Loch, ein Uhrmacher,
ein sauber aussehender Herr im Gehrock, der
an einem Werktisch, auf dem zerbrechliche
Gegenstände unter Gläsern schliefen, ständig
mit zierlichen Werkzeugen in Uhren
herumstocherte, während hinter ihm die
Pendel von zwei oder drei Dutzend kleiner
Kuckucksuhren gleichzeitig tickten im
schwarzen Elend der Straße und im
taktmäßigen Lärm der Hufschmiede.
Das Viertel fand Gervaise sehr nett. Freilich,
es wurde über sie geklatscht, aber man war
einer Meinung darüber, daß sie große Augen
und einen niedlichen Mund mit ganz weißen
Zähnen hatte. Mit einem Wort, sie war eine
hübsche Blondine und hätte sich ohne das
Mißgeschick mit ihrem Bein zu den Schönsten
rechnen können. Sie stand im
achtundzwanzigsten Lebensjahr, sie war
üppiger geworden. Ihre feinen Züge wurden
teigig, ihre Gebärden nahmen eine glückliche
Langsamkeit an. Jetzt vergaß sie, auf der
Kante eines Stuhles sitzend, zuweilen die Zeit,
wenn sie auf ihr Bügeleisen wartete, mit einem
unbestimmten Lächeln, das Gesicht von
naschhafter Freude ertränkt. Sie wurde
naschhaft, das sagte alle Welt; aber das war ja
kein garstiger Fehler, im Gegenteil. Wenn man
genug verdient, um sich feine Bissen leisten zu
können, wäre es doch schön dumm, wenn man
Kartoffelschalen essen würde, nicht wahr? Um
so mehr, als sie immer schwer arbeitete, sich
für ihre Kunden die Beine ausriß und selber
bei geschlossenen Fensterläden die Nächte
durchmachte, wenn die Arbeit eilte. Sie hatte
Schwein, wie man im Viertel sagte; alles
glückte ihr. Sie wusch für das Haus, für Herrn
Madinier, für Fräulein Remanjou, für die
Boches. Selbst ihrer ehemaligen Arbeitgeberin
Frau Fauconnier nahm sie Damen aus der
Pariser Innenstadt weg, die in der Rue du
FaubourgPoissonnière wohnten. Gleich in der
dritten Woche hatte sie zwei Arbeiterinnen
einstellen müssen, Frau Putois und die lange
Clémence, jenes Mädchen, das früher im
sechsten Stock gewohnt hatte; mit ihrem
Lehrmädchen, der kleinen Schielliese
Augustine, die häßlich wie der Hintern eines
armen Mannes war, waren jetzt drei Personen
bei ihr. Andere hätten bei diesem plötzlichen
Glück bestimmt den Kopf verloren. Bei ihr
war es durchaus verzeihlich, wenn sie montags
ein wenig blau machte, nachdem sie die ganze
Woche geschuftet hatte. Im übrigen brauchte
sie das; sie wäre schlapp geblieben und hätte
zugesehen, wie die Hemden sich von selbst
bügelten, wenn sie sich nicht etwas Leckeres
geleistet hätte, etwas Gutes, wonach das
Gelüst sie am Gaumen kitzelte.
Noch nie hatte Gervaise soviel
Entgegenkommen gezeigt. Sie war sanft wie
ein Lamm, gut wie Brot. Abgesehen von Frau
Lorilleux, die sie, um sich zu rächen,
Kuhschwanz nannte, gab es niemand, den sie
nicht ausstehen konnte, und sie übte mit
jedermann Nachsicht. Hatte sie gut zu Mittag
gegessen und ihren Kaffee getrunken, gab sie
im leichten Sichgehenlassen ihrer Gefräßigkeit
dem Verlangen nach allgemeiner Duldsamkeit
nach. Ihr Wahlspruch war: »Man muß
einander verzeihen, nicht wahr, wenn man
nicht wie die Wilden
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