Der Todschlaeger
Leute, die den
lieben langen Tag arbeiteten und pünktlich
ihre Miete bezahlten. Aber hierin machte sie,
offen gesagt, der Neid rasend. Überdies waren
sie geizig bis auf die Knochen. Knauser,
jawohl! Leute, die, wenn man heraufkam, ihre
Literflasche Wein versteckten, damit sie nicht
ein Glas anbieten mußten; kurzum, keine
anständigen Menschen.
Eines Tages hatte Gervaise den Boches gerade
Schwarzbeerlikör mit Selterwasser spendiert,
den man in der Conciergeloge trank, als Frau
Lorilleux ganz steif vorüberging und dabei den
Concierges absichtlich vor die Tür spuckte.
Und seitdem ließ Frau Boche jeden
Sonnabend, wenn sie Treppen und Korridore
ausfegte, den Kehricht vor der Tür der
Lorilleux liegen.
»Donnerwetter!« schrie Frau Lorilleux.
»Hinkebein nudelt sie ja, diese Freßsäcke! Oh,
das ist doch alles eine Sorte! – Aber sie sollen
mich ja nicht anöden! Ich gehe zum
Hausbesitzer und beschwere mich ... Erst
gestern habe ich gesehen, wie Boche, dieser
Duckmäuser, sich an Madame Gaudrons
Röcken rieb. Sich an eine Frau in diesem Alter
ranzumachen, die ein halbes Dutzend Kinder
hat, das ist ja die reinste Schweinerei, was! –
Noch so eine Sauerei von denen, und ich sag
Mutter Boche Bescheid, damit sie ihrem Mann
eine Tracht Prügel verabreicht ... Verflixt! Da
würde man mal ein bißchen lachen.«
Mama Coupeau besuchte stets beide Ehepaare;
sie redete jedem nach dem Munde und
erreichte es sogar, daß man sie öfters zum
Abendessen dabehielt, indem sie bereitwillig
ihrer Tochter und ihrer Schwiegertochter
zuhörte, an einem Abend dieser, am anderen
Abend jener. Frau Lerat ging zur Zeit nicht
mehr zu den Coupeaus, weil sie sich mit
Hinkebein wegen eines Zuaven45 gestritten
hatte, der seiner Geliebten mit einem
Rasiermesserhieb die Nase abgeschnitten
hatte; sie war für den Zuaven, sie sah in dem
Hieb mit dem Rasiermesser etwas sehr
Verliebtes, ohne ihre Gründe dafür anzugeben.
Und sie hatte Frau Lorilleux' Zornesausbrüche
noch bösartiger gemacht, indem sie ihr
versicherte, Hinkebein nenne sie im Gespräch
vor annähernd fünfzehn bis zwanzig Personen
ungeniert Kuhschwanz. Mein Gott, ja, die
Boches und die Nachbarn nannten sie nun
Kuhschwanz.
Ungeachtet dieser Klatschereien grüßte
Gervaise ruhig und lächelnd auf der Schwelle
ihres Ladens ihre Freunde mit einem leichten
freundlichen Kopfnicken. Mit Vorliebe kam
sie zwischen zwei Strichen mit dem
Bügeleisen eine Minute heraus, um der Straße
mit der eitlen Aufgeblasenheit einer
Geschäftsfrau zuzulachen, die ein Stückchen
Bürgersteig ihr eigen nennt. Die Rue de la
Goutted'Or gehörte ihr, und die
Nachbarstraßen, und das ganze Viertel. Wenn
sie in ihrer weißen Unterjacke, mit nackten
Armen und vor Arbeitseifer umherfliegendem
blondem Haar den Kopf vorstreckte, warf sie
einen Blick nach links, einen Blick nach
rechts, auf beide Enden der Straße, um die
Vorübergehenden, die Häuser, das Pflaster und
den Himmel auf einmal in sich aufzunehmen:
links verkroch sich die friedliche,
menschenleere Rue de la Goutted'Or in einen
Provinzwinkel, wo sich Frauen leise an den
Türen unterhielten; rechts brachte in einigen
Schritten Entfernung die Rue des Poissonniers
Wagengepolter herein und das fortwährende
Getrappel einer Menschenmenge, die
zurückflutete und dieses Ende der Straße zu
einer Kreuzung mit viel Volksgewühl machte.
Gervaise liebte die Straße, das Rumpeln der
Rollwagen über die Löcher im groben,
holprigen Pflaster, das Gedrängel der Leute
auf den schmalen Bürgersteigen, die von stark
abschüssigen Schotterstellen unterbrochen
wurden. Ihre drei Meter Rinnstein vor ihrem
Laden erlangten eine ungeheure Wichtigkeit,
wurden zu einem breiten Strom, den sie sehr
sauber haben wollte, zu einem seltsamen und
lebendigen Strom, dessen Wasser die Färberei
im Hause inmitten des schwarzen Schlammes
in den lieblichsten Launen färbte. Weiter
interessierte sie sich für die Läden: eine
geräumige Kolonialwarenhandlung mit einer
durch feinmaschige Netze gesicherten Auslage
von Dörrobst, ein Wäsche und
Strumpfwarengeschäft für Arbeiter, wo beim
geringsten Windhauch blaue Leinenhosen und
Kittel hin und her schaukelten, die an den
ausgebreiteten Armen und Beinen aufgehängt
waren. Bei der Obsthändlerin und bei der
Kaldaunenhändlerin erblickte sie Ecken des
Ladentisches, auf dem prächtige und gelassene
Katzen schnurrten. Ihre Nachbarin, Frau
Vigouroux,
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