Der Törichte Engel
einen friedlichen Blowjob«, sagte Tuck. »Aber erst später. Jetzt brauchen wir einen Wagen mit Allradantrieb.«
»Willst du es wirklich versuchen?«, fragte Theo Ben.
Der Sportler nickte. »Ich habe die besten Chancen, es zu schaffen. Sollte ich denen da draußen nicht entkommen können, werde ich sie einfach über den Haufen rennen.«
»Okay«, sagte Theo. »Schleppen wir den Baum in die Mitte der Kapelle.«
»Nicht so hastig«, sagte Tuck und klopfte vorsichtig an seine Bandagen. »Egal, wie schnell unsere Mikro-Hode sein mag … der Weihnachtsmann hat noch zwei Kugeln im Revolver.«
19
Über allen Dächern, klick, klick, klick
Endlich hat das alles einen Sinn, dachte Ben Miller, als er in den winzigen Glockenturm über der Kapelle kletterte. Es hatte zehn Minuten gedauert, die mit Farbe verklebten Fugen der Klappe mit dem Brotmesser aufzusägen, aber schließlich hatte er es geschafft, hatte sie entriegelt und war von der Spitze des Weihnachtsbaumes in den Glockenturm geklettert. Da oben war gerade genug Platz, dass man stehen konnte, mit den Füßen auf den schmalen Leisten um die Luke herum. Glücklicherweise gab es dort schon lange keine Glocke mehr. Zwar war der Turm von hölzernen Jalousien eingefasst, aber der Wind fegte dennoch hindurch wie nichts. Ben Miller war ziemlich sicher, dass er die Jalousien mit einem Tritt durchbrechen konnte, hundert Jahre altes Holz. Dann würde er über das steile Dach klettern, sich auf der sicheren Seite herunterlassen und schließlich zum Parkplatz und zu dem roten Explorer rennen, dessen Schlüssel er bei sich hatte. Danach zum Revier der Highway Patrol fünfzig Kilometer südlich, und schon wäre Hilfe unterwegs.
All die Jahre nach der Highschool und dem College, in denen er immer weiter an sich gearbeitet hatte, die endlosen Stunden beim Straßentraining, die Gewichte und das Schwimmen und die proteinreiche Ernährung, das alles kulminierte in diesem Augenblick. All die Jahre in Form zu bleiben, obwohl es niemanden ernstlich zu interessieren schien, sollte sich nun endlich auszahlen. Falls da draußen etwas war, vor dem er nicht weglaufen konnte, würde er es mit der Schulter aus dem Weg rammen. (Neben seiner Uni-Karriere als Leichtathlet hatte er auch eine Saison Football gespielt.)
»Alles klar, Ben?«, rief Theo von unten.
»Ja. Ich bin so weit.«
Er holte tief Luft, stemmte sich mit dem Rücken gegen eine Wand des Glockenturms, dann trat er die Holzjalousien auf der anderen Seite heraus. Sie brachen schon beim ersten Tritt, so dass er fast mit den Füßen voran hinaus aufs Dach geflogen wäre. Er hatte seine liebe Mühe, das Gleichgewicht zu wahren, rollte sich auf den Bauch und ließ sich rückwärts aus der Öffnung gleiten. Am Tannenbaum entlang blickte er in ein gutes Dutzend hoffnungsfroher Mienen.
»Haltet durch! Ich bin bald wieder da und bring Hilfe mit«, sagte er. Dann kroch er rückwärts, bis er auf allen vieren in feuchter Kälte auf der Dachspitze kauerte.
»Oh ja, bitte, Liebling«, sagte eine Stimme rechts von seinem Ohr. Er zuckte zur Seite und rutschte ab. Irgendetwas bekam seinen Pulli zu fassen, riss ihn zurück, dann drückte man ihm etwas Hartes, Kaltes gegen die Stirn.
Dann hörte er nur noch, wie der Weihnachtsmann sagte: »Ganz schön clever für ’ne Sportskanone.«
Unten in der Kapelle hörten sie den Schuss.
Dale Pearson hielt den toten Leichtathleten am Kragen fest und dachte: Gleich lutschen oder aufsparen für nach dem Massaker? Unten am Boden bettelten die anderen Untoten um Leckereien. Warren Talbot, der Landschaftsmaler, war fast den halben Baumstamm hinaufgeklettert, mit dessen Hilfe Dale das Dach erklommen hatte.
»Bitte, bitte, bitte, bitte«, sagte Warren. »Ich hab solchen Hunger!«
Dale zuckte mit den Schultern und ließ Ben Millers Kragen los, dann versetzte er der Leiche einen Tritt, so dass sie übers Dach dem hungrigen Mob entgegenrutschte. Warren sah sich um, sah, wo die Leiche gelandet war, und blickte dann zu Dale.
»Arschloch. Jetzt krieg ich nichts ab.«
Von unten hörte man Ekel erregende Lutschlaute.
»Tja, Warren. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.«
Der tote Maler rutschte an seinem Baum hinunter und war nicht mehr zu sehen.
Dale stand der Sinn nach Rache. Er schob seinen Kopf in den Glockenturm und warf einen Blick auf die entgeisterten Gesichter unter ihm. Der drahtige, kleine Biologe kletterte am Weihnachtsbaum hinauf, der offenen Luke entgegen.
»Komm ruhig«, rief Dale.
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