Der tolle Nick
erste zu begrüßen. Sie drängte Master Dawson zur Seite, als er die Tür erreicht hatte, schlüpfte behende unter seinem Arm durch, obwohl sie alt, faltig und zerbrechlich aussah. »Mein Schatz!« rief sie, »mein Lämmchen! Ist es denn wirklich mein Liebling!«
»Ja, wie Ihr seht!« erwiderte Sir Nicholas lachend und breitete die Arme weit aus. Er hielt sie fest, während sie ihn gleichzeitig streichelte und schalt, alles in einem Atemzug. Er sei ein Tunichtgut, ein rauher, ungehobelter Bursche, daß er ein alte Frau so grob anfaßte! Aber braun war er! Sie wollte schwören, daß er gewachsen sei; aber wie mager sein Gesicht doch war; war er etwa krank? Wie häßlich es doch von ihm war, so lange von zu Hause fortzubleiben und dann als erstes seine alte Kinderfrau auszulachen! Sie tätschelte ihn, streichelte seine Hände und tastete den reichen Stoff seines kurzen Mantels ab. Schön war er, bei Gott! Bestickt und mit Goldquasten behängt! Was für ein Verschwender er doch war! Aber da war auch schon Mylord, um ihn zu begrüßen.
Und richtig – gemessen schritt Mylord aus dem Haus, angetan mit einem Gewand aus Kamelott, das reich mit Grauwerk besetzt war, eine enganliegende Kappe am Kopf und eine goldene Kette um den Hals. Seine Barttracht ähnelte der der Geistlichen; er war so blond, wie Nicholas dunkel war; seine Augen waren von demselben Blau, doch fehlte ihnen das Leben, das aus denen seines Bruders leuchtete. Er war hochgewachsen, eindrucksvoll, ernst und würdig. Nur ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen, als er »Nun, Nick?« rief. »Mylady hörte Rufe und Schreien und meinte gleich, daß Nick nach Hause gekommen wäre. Wie geht es dir, mein Junge?«
Die Brüder umarmten einander. »Gut, wie du siehst, Gerard. Und dir?«
»Recht gut. Im Februar hatte ich ein Tertianafieber, aber es ist glücklicherweise bald vorübergegangen.«
»Weil er auch immer nach Cambridgeshire in das feuchte, ungesunde Schloß ziehen muß«, seufzte eine weinerliche Stimme hinter ihnen. »Ich habe ja gleich gesagt, daß nichts Gutes daraus würde. Von Anfang an habe ich vorausgesehen, daß er krank werden würde. Lieber Nicholas, seid mir willkommen!«
Nicholas wandte sich um, um Lady Beauvallet zu begrüßen, küßte pflichtschuldigst ihre rechte Hand und dann ihren Mund.
»Geht es Euch gut, Schwester?«
»Nick!« Sie errötete etwas und hob mahnend den Finger. »Noch immer der Alte! Aber nein, der harte Winter – schlimmer als alle, an die ich mich erinnern kann – nicht wahr, Mylord – hat mir übel mitgespielt. Zum neuen Jahr hatte ich das Schweißfieber und zu Lichtmeß ein schreckliches Fieber, das mich fast dahingerafft hätte.«
»Aber jetzt ist der Frühling da, und Ihr habt Euch wieder erholt«, meinte Nick.
Sie sah ihn zweifelnd an. »Wahrhaftig, Nick, das scheint so zu sein, aber Ihr wißt, daß es um meine Gesundheit schlimm bestellt ist.«
Gerard unterbrach ihre Klagen. »Dieses Großmaul hast du also auch wieder nach Hause gebracht«, sagte er und deutete auf Joshua, der sich mit den Lakaien unterhielt. »Hat er schon bessere Manieren gelernt?«
»Aber nicht die Spur, Bruder. Joshua! Komm her und begrüße den Herrn!« Er legte den Arm um seine Schwägerin und zog sie ins Haus. »Kommt mit mir, Kate. Der Wind bläst so, daß Ihr gleich ein zweites Fieber bekommen werdet!«
Sie ging mit ihm, zierte sich aber. »Nick, Nick, noch immer so wild? Aber wenn es ein Fieber wird, dann ist es nicht das zweite, sonder viel eher das siebente, denn kaum bin ich von dem einen genesen, wirft mich ein anderes nieder. Kommt in die Halle, Bruder. Dort brennt sicher ein Feuer, und man wird Euch Wein bringen. Oder vielleicht ein zweijähriges Märzenbier. Dawson – Dawson, bring – oh, er ist schon fort. Aber kommt nur herein, Nicholas; es wird Euch nach Eurem Ritt ja kalt sein.«
Sie betraten die große Halle, einen Raum von ausgewogenen Dimensionen, dessen Plafond von einander kreuzenden Eichenbohlen getragen wurde. Hohe Fenster waren über Kopfhöhe in die mit Gobelins behängten Wände eingelassen. An einem Ende der Halle befand sich ein Podium, auf dem ein langer Tisch und Bänke standen. An einer der Wände ragte ein Kamin auf, in dem ein helles Feuer loderte. Über dem Sims hing das Wappen des Lords. Der Boden war mit Stroh bestreut, unter das man Rosmarin gemengt hatte; zu beiden Seiten des Kamins standen Bänke und an den Wänden eine Reihe von hochlehnigen Stühlen.
Mylady setzte sich beim Feuer
Weitere Kostenlose Bücher