Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
die Kräuter holen …«
»Klar. Und dazu einen Herd und einen Kochtopf und sauberes Wasser und eine Badewanne …« Ohne noch einmal zu fragen, griff er mit beiden Armen unter ihren Körper und hob sie hoch. Er ächzte unter ihrem Gewicht, doch Simon biss die Zähne zusammen und stapfte durch den immer noch warmen Sand dem Dorf entgegen. Die Leopardin zappelte kurz, dann lehnte sie sich erschöpft an ihn und schloss die Augen.
Er erreichte den Hafen und lief an der bröckelnden Mole entlang. Es roch nach Rauch, irgendwo brannte ein Herdfeuer. Träge dümpelten die am Kai vertäuten Fischerboote in der Dünung. Die Fassaden der zerstörten Gebäude glühten im Licht der untergehenden Sonne. Simon blieb stehen. Bis hierher waren sie gekommen. Doch wohin sollte er nun gehen?
Da mischte sich in den Geruch von verbranntem Holz ein verlockender Duft, der seinen Magen zusammenziehen ließ: der Duft von frisch gebackenem Brot. Simons Blick wanderte an der Häuserreihe entlang. Bei ihm zu Hause war dort an der Ecke die Bäckerei gewesen. Vielleicht wurde auch hier im gleichen Haus Brot gebacken. Kurz entschlossen ging er weiter.
Auf den ersten Blick wies nichts darauf hin, dass in dem Eckhaus eine Bäckerei sein könnte. Das Dach war eingestürzt, ein Baum wuchs aus einer leeren Fensteröffnung. Angestrahlt von der Abendsonne, sah die Ruine eigenartig schön aus, wie das Werk eines modernen Künstlers, der aus Steinen und wild wuchernden Pflanzen ein gewaltiges Objekt geschaffen hatte. Als Simon näher kam, wurde der Geruch nach frischem Brot stärker. Nun entdeckte er auch das Ofenrohr, das zwischen den überwachsenen Steinen der Ruine aus der Decke des Kellergewölbes emporragte. Es war dicker als die anderen Kaminrohre, die Simon in den Ruinen gesehen hatte. Eine kräftige Rauchsäule stieg aus der Öffnung. Dort unten befeuerte jemand einen Ofen.
Simon trat mit Ashakida auf dem Arm durch die leere Türöffnung in das Innere der Ruine. Herabgestürzte Dachbalken lagen zwischen Steinbrocken und austreibenden Büschen. Eine Fledermaus flatterte zwischen den Mauern umher.
Simon suchte noch nach dem Eingang in das Kellergewölbe, als sich plötzlich hinter einem Mauervorsprung eine Klappe im Boden öffnete und ein Mädchen hinauf an die Oberfläche stieg. Sie stutzte, als sie ihn sah. Simon kannte das Mädchen. In seiner Welt war sie die Freundin seines Bruders gewesen.
Sie schaute ihn neugierig an. »Du bist der Junge, der gestern bei der Versammlung der Erwachsenen war«, stellte sie fest und lächelte.
Simon lächelte zurück. »Und du bist Maria.« Auch das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Das Mädchen war nicht überrascht. Weder, dass Simon ihren Namen kannte, noch, dass er eine Leopardin auf dem Arm trug und vollkommen verdreckt war. Ohne Scheu kam sie näher. Sie war etwas älter als er und so wie die Maria in seiner Welt trug sie ihre dunklen Haare lang und offen.
»Hast du Hunger?«
Simon nickte, und prompt knurrte sein Magen. Er wies auf die Leopardin in seinen Armen. »Sie braucht Hilfe.« Ashakida knurrte leise bei seinen Worten. Ihre Bewegungen wurden immer schwächer. Simon fürchtete, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Er musste seinen Rucksack finden, in dem die Heilkräuter waren. Doch was sollte er tun, wenn der Dorfälteste seine Sachen an sich genommen hatte? Er konnte ja nicht einfach zu ihm gehen und ihn bitten, den Rucksack wieder herauszugeben.
Da kam ihm ein Gedanke. »Iras Oma, wo finde ich die?«
Maria betrachtete ihn nachdenklich, bevor sie eine Entscheidung traf. »Warte hier.« Sie drehte sich um und verschwand zwischen den Mauerresten, um kurz darauf mit einem Handwagen und einem Kanten Brot zurückzukehren. »Ich bring dich zu Iras Großmutter.«
Vorsichtig bettete Simon die Leopardin auf die Ladefläche des Wagens. Nachdem ihm Maria das Brotstück gegeben hatte, zogen sie den Karren gemeinsam aus der Ruine hinaus zur Dorfstraße. Ashakida jaulte leise, als die Räder über die Steine polterten. Erst suchte sie in dem rüttelnden Gefährt nach Halt, schließlich lag sie einfach nur noch da und ließ sich durchschütteln. Simon glaubte schon, dass sie nicht mehr lebte, als er erleichtert entdeckte, dass sich ihr Brustkorb leicht hob und wieder senkte.
Der Weg hinauf in das Dorf war steil. Maria mied die Hauptstraße und wählte schmale Gassen für ihren Weg. Ob sie die Strecke abkürzen oder nicht gesehen werden wollte, wusste Simon nicht, und er fragte auch
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