Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
Schlag in die Magengrube. Ashakida hatte recht und trotzdem war ihr Vorwurf unfair. »Du weißt, dass ich das nicht gewollt habe!«
»Getan hast du es trotzdem.«
»Ja. Weil mir niemand etwas gesagt hat! Ihr wusstet lange vor mir, dass ich ein Torwächter bin.«
Die Leopardin wandte sich ab. »Dir nichts zu sagen, war nicht meine Entscheidung.«
»Na toll!« Simon bebte vor Wut. »Und du wirfst mir vor, dass ich Drhan in meine Welt gelassen habe.« Er stand ärgerlich auf. »Ein Wort von dir und es wäre nicht passiert! Also: Wer trägt die Verantwortung für diesen ganzen Mist hier?«
Ashakida antwortete nicht, sah ihn stumm an. Dann wandte sie sich ab und ging davon.
Simon hielt sie nicht zurück. Er war zu wütend, um sich einzugestehen, dass auch er unfair gewesen war: Ashakida hatte genauso wenig Schuld an allem, was passiert war. Im Gegenteil, sie hatte ihm geholfen und ihm mehr als ein Mal das Leben gerettet. Wenn jemand Schuld hatte, dann seine Eltern und mehr noch sein Großvater. Sie hätten ihm schon vor langer Zeit sagen müssen, welche Aufgabe vor ihm lag und welche Verantwortung auf seinen Schultern lasten würde. Sicher, sie hatten es gut gemeint, Simon war das klar. Sie hatten ihm eine unbeschwerte Kindheit schenken wollen. Doch der Preis für dieses Geschenk war zu hoch gewesen.
Simon sah der Leopardin nach. Sie ging den Strand hinunter, direkt am Wasser entlang. Ihr Körper sah schmal aus, ihre Schritte wirkten müde. Die Gischt umspülte ihre Pfoten.
Der Anblick ließ seine Wut verrauchen. Sie tat ihm leid, und er bekam ein schlechtes Gewissen, mit ihr gestritten zu haben. Ashakida war so wie er in dieser Welt gestrandet, sie gehörte nicht hierher, genauso wenig, wie er hierher gehörte. Sie mussten zusammenhalten.
»Warte!« Simon lief ihr nach.
Ashakida blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
Simon erreichte sie, noch ein wenig außer Atem. Es fiel ihm schwer, sich bei ihr zu entschuldigen. »Ich …« Er stockte. »Ich wollte dir nicht wehtun. Es tut mir leid.«
Ashakida rührte sich nicht. Simon dachte schon, sie hätte ihn nicht gehört, als die Leopardin tief seufzte. Sie sah ihn traurig an. »Es ist nicht schlimm, dass du das zu mir gesagt hast. Schlimm ist, dass du recht hast.«
Simon wollte widersprechen, doch sie fiel ihm ins Wort. »Ich hätte mich deinem Großvater widersetzen können. Ich hätte einfach mit dir reden sollen. Dir alles erklären. Dir das Weltentor zeigen müssen.« Sie verstummte.
Simon betrachtete sie bedrückt. Er fühlte, wie sie litt. Ausnahmsweise ließ sie es zu, dass er in ihre Gefühle eintauchte. Simon glaubte schon, sie sei zu schwach, sich zu wehren. Doch dann merkte er, dass sie sich ihm öffnete. Sie suchte seine Nähe.
Sanft strich er mit seiner Hand über ihr Fell. Ashakida erschauerte unter seiner Berührung. Dann entzog sie sich ihm.
Aufmunternd knuffte Simon ihr in die Seite. »Lass uns zurück ins Dorf gehen. Dort sind die Kräuter, die dir mein Großvater zusammengemischt hat.«
Ashakida verzog das Gesicht. »Das Gebräu stinkt eklig.«
»Finde ich nicht. Außerdem hilft es.«
»Du musst ja auch nicht in der Brühe baden. Das Fell riecht stundenlang nach dem Zeug.« Sie seufzte erneut. »Vielleicht kann Iras Oma was für mich zusammenmischen. Was mit Lavendelöl oder Rosenwasser, den Duft mag ich.«
Simon war erstaunt. »Warum willst du denn unbedingt gut riechen?«
»Benutzen in eurer Welt die Mädchen kein Parfüm?«
Simon erwiderte entgeistert ihren Blick. Ihm kam es vor, als amüsiere Ashakida sein erstaunter Gesichtsausdruck.
Sanft stupste sie ihn mit der Schnauze an. »Komm.«
Gemeinsam gingen sie den Strand hinunter.
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13
Es war schon spät, als sie das Dorf erreichten. Die Sonne, die während des Tages die Küste mit ihrer Hitze versengt hatte, hing nun wie ein glühender Feuerball dicht über dem Horizont. Das Meer, der Himmel, die Ruinen, alles war leuchtend rot überzogen. Simon bemerkte es nicht. Besorgt beobachtete er Ashakida, die sich neben ihm durch den Sand schleppte. Immer wieder hatte sie sich geweigert, sich von ihm tragen zu lassen, obwohl sie kaum noch laufen konnte.
Simon blieb stehen. »Ich geh keinen Schritt weiter.«
Ashakida drehte sich erstaunt zu ihm um. »Was ist denn jetzt los?«
»Entweder du lässt mich dich tragen oder wir übernachten hier.«
Die Leopardin zögerte. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass sie nicht sofort widersprach. »Du kannst mich hier auch alleine lassen und
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