Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
Ladefläche dauerte keine Viertelstunde, als plötzlich das Fahrzeug wie ein Wildpferd bockte. Mit einem fürchterlichen Kreischen gab das Getriebe seinen Geist auf. Fluchend stoppte der Fahrer des Lastwagens am Straßenrand.
Alle sahen sich an, Ashakida knurrte leise. Jeder von ihnen hatte den gleichen Gedanken: Sie mussten den Wagen verlassen. Jetzt! Eilig griffen sie sich ihr Gepäck, dann kletterten sie lautlos von der Ladefläche und schlichen in die Dunkelheit. Ein Stück weiter, hinter einer abblätternden Plakatwand, versammelten sie sich und blickten zurück zu ihrem Fluchtfahrzeug. Gerade verließ der Soldat das Führerhaus, das Funkgerät in der Hand. Er hatte sie nicht bemerkt. Noch einmal fluchte der Uniformierte aus tiefstem Herzen, bevor er den Schaden meldete und seine Kameraden um Hilfe bat.
Leise schlichen sie weiter, weg von der Straße, die das Dorf mit der Stadt verband. Ira übernahm die Führung. Das Geräusch der Brandung, die irgendwo hinter den Häusern an das Ufer der Bucht stieß, half ihr dabei, an der nächsten Kreuzung die richtige Richtung einzuschlagen.
»Da entlang.« Ira wies auf eine Straße, deren Ende sich in der Dunkelheit verlor.
Filippo schluckte und auch Luc sah ängstlich aus. Doch hier konnten sie nicht bleiben und so folgten sie ihr schweigend durch die Nacht.
Bald hatten sie den Lastwagen weit hinter sich gelassen. Tiefer und tiefer drangen sie in das verlassene Stadtviertel vor. Blass hing der Mond über den Dächern. Wie Schattenmonster ragten die Fassaden der Häuser in den nächtlichen Himmel. Niemand sagte ein Wort.
Luc wurde immer unruhiger. Ängstlich blickte er zu den dunklen Fensterhöhlen hinauf. Seine Stimme zitterte, als er schließlich sprach. »Meine Mutter hat erzählt, dass hier Geister wohnen.«
Filippo lachte, doch sein Lachen klang nicht so entspannt wie sonst.
»Es sind die Geister der Menschen«, fuhr Luc fort, »die früher hier gelebt haben.«
Nun schwieg auch Filippo.
»Und wenn Kinder dort hingehen, dann kommen die Geister und holen sie.«
Ashakida fauchte. Ihre Augen funkelten in der Dunkelheit. »So ein Unsinn! Es gibt keine Geister. Und hier schon gar nicht.«
»Sicher?«
»Ganz sicher.«
Wie auf Kommando polterte irgendwo zwischen den Häusern ein Stein von einer Mauer herab. Alle bis auf die Leopardin fuhren zusammen.
Ashakida knurrte ungeduldig. »Jetzt denkt doch mal nach: Das sind Geschichten, die sich die Erwachsenen ausgedacht haben. Die wollten nicht, dass ihr hierherkommt.«
Doch Lucs Angst war stärker als seine Vernunft. Zitternd blieb er stehen.
Simon, der Lucs Furcht spürte, als wäre es die eigene, nahm seine Hand. »Wir müssen weiter, Luc, wir dürfen hier nicht bleiben.« Aufmunternd lächelte er ihn an. »Wir passen alle auf dich auf. Okay?«
Luc nickte stumm.
Schweigend gingen sie weiter.
Mit der Zeit wurde es immer dunkler. Der Mond, der zu Beginn ihrer Wanderung noch hoch am Himmel gestanden hatte, sank immer tiefer, bald würde er hinter den Häusern verschwinden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es dämmerte. Simon wusste, dass alle am Ende ihrer Kräfte waren. Sie würden sich einen Ort suchen müssen, an dem sie sich ausruhen und etwas schlafen konnten.
Ashakida knurrte zustimmend. »Eine Pause wäre jetzt gut.« Sie wies auf ein großes Gebäude am Rande des Platzes, dessen Fassade mit mächtigen Säulen verziert war. »Dort.«
Vorsichtig näherten sie sich dem Säulenportal. Die Fassade sah beeindruckend aus, und das Licht des Mondes verstärkte die Wirkung, die das Gebäude auf sie hatte. Eine Freitreppe führte hinauf zum Eingang.
Sie stiegen die Stufen hinauf und traten in den Schatten der Säulen. Ira holte ihre Taschenlampe hervor. Im Licht des Strahlers sahen sie mächtige Türen mit messingfarbenen Türklinken. Die erste Tür war verschlossen, doch die zweite, jene in der Mitte, ließ sich ein Stückchen aufziehen. Nacheinander zerrten sie an der Klinke. Erst als sie gemeinsam am Griff zogen, brach knirschend der Rost, der die Scharniere bedeckte, und der Türflügel schwang auf.
Ira streckte den Kopf durch den Spalt und leuchtete in das Innere, bevor sie in das Gebäude ging. Die anderen folgten ihr. Gespannt sahen sie sich um. Sie befanden sich in einer kleineren Halle, die von Rundbögen begrenzt war und leer zu sein schien. Hinter den Bögen öffnete sich ein weiterer Saal, er musste sehr groß sein, denn der Strahl der Taschenlampe reichte nicht bis zur gegenüberliegenden
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