Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
anderen schliefen nicht mehr, die Hütte war verlassen. Licht fiel durch das Strohgeflecht, schemenhaft erkannte er im Halbdunkel die leeren Pritschen. Von draußen waren leise Stimmen zu hören.
Simon stand auf, schlug die Decke zurück, die vor dem Eingang der Hütte hing, und trat hinaus in die Halle. Erst jetzt sah er, wie groß das Museum war. Sie hatten im afrikanischen Teil der Ausstellung übernachtet, ein Stück weiter begann eine Wüstenlandschaft, und weiter hinten sah es so aus, als würden Tiere aus dem Norden Europas ausgestellt. Aufgeregte Rufe schallten durch den Raum, ab und an lachte jemand: Filippo, Luc und Tomas gingen durch die Ausstellung, sie betrachteten die ausgestopften Tiere und unterhielten sich. Immer wieder beugte sich Tomas vor und studierte die Schilder neben den Exponaten, um den anderen vorzulesen. Ira hingegen sah Simon nicht und auch Ashakida war verschwunden.
Ohne dass ihn die anderen bemerkten, ging Simon durch die Halle zum Ausgang des Museums. Die Sonne war schon lange aufgegangen, ihre Strahlen wärmten die Stufen vor dem Museum. Ira saß auf der Treppe und blickte hinab auf den kleinen Platz, an dem das Museum lag. Ein wasserloser Brunnen zierte die Fläche. Auf der anderen Seite des Platzes erkannte Simon Geschäfte, Wohnhäuser und ein Eiscafé, vor dem Stühle und Tische standen. Im Schaufenster gleich nebenan waren Transistorradios ausgestellt, dazu alte Fernseher, deren abgerundete Bildschirme mit Holz eingefasst waren. Doch niemand saß im Café, niemand betrachtete die Auslagen in den Geschäften. Die Stadt war menschenleer. Es war still, nur der Wind pfiff leise durch die Straße.
Simon ging zu Ira und setzte sich neben sie. Er holte das Stück Brot hervor, das er aus seinem Rucksack mitgenommen hatte, und brach es in zwei Teile. Eine Hälfte reichte er ihr. Ira warf ihm einen kurzen Blick zu, nahm das Brot und grinste gequält. Dann blickte sie wieder auf den Platz und hing ihren Gedanken nach. Auch Simon schwieg.
Nach einer Weile brach Ira die Stille. »Sie haben gesagt, hier draußen in der Vorstadt wäre alles zerstört.« Sie betrachtete die Fassaden der Häuser. »Sie haben gesagt, dass hier niemand leben kann. Sie haben behauptet, dass die Vorstadt gefährlich sei …« Dass die Erwachsenen gelogen hatten, war augenfällig.
Simon wusste nicht, was er dazu sagen sollte, also blieb er still und wartete.
Ira wies auf einen Laden. »Dort gibt es Kleidung. Und dahinten, an der Ecke, da stehen Schuhe hinter den Glasscheiben.« Sie hob ein Bein und blickte den Schuh an ihrem Fuß an. »Genau solche, wie ich anhabe. Weißt du, was das heißt?« Sie sah zu Simon. Als der nicht sofort reagierte, beantwortete sie ihre Frage selbst: »Sie haben die Sachen hier geholt. Sie sind hierhergefahren und haben sich hier genommen, was sie brauchten. Unser Dorf hat von dem gelebt, was die Menschen der Vorstadt zurückgelassen haben.«
Simon konnte verstehen, was Ira bewegte. Aber er verstand auch die Erwachsenen. »Was hätten sie denn anderes tun sollen? Was hättest du denn an ihrer Stelle getan?« Er drehte das Stück Brot in seinen Händen. Er wusste noch genau, aus welchem Kellergewölbe sie es mitgenommen hatten.
»Aber so kann man doch nicht leben!«
Simon antwortete nicht. Sein Magen knurrte. Auch Iras Magen grummelte, sie hatten seit vielen Stunden nichts mehr gegessen. Nach einer Weile brach Simon ein Stück von seinem Brot ab und schob es sich in den Mund. Er kaute schweigend. Dann biss auch Ira von ihrem Brotkanten ab.
Die Tür des Museums wurde aufgestoßen, Filippo kam herausgestürmt. Aufgeregt blinzelte er in die Sonne. Auch Luc und Tomas verließen das Gebäude. Während Tomas zu ihnen herüberkam und sich neben sie setzte, rannten Filippo und Luc die Treppe hinab auf den Platz.
Simon brach sein Brotstück in zwei Hälften und reichte eine davon Tomas. Der zögerte, doch dann nahm er sie an. Auch Ira gab ihm von ihrem Brot ab.
Nach einer Weile kamen Filippo und Luc zurück. Sie hatten sich auf dem Platz und in den umliegenden Straßen umgeschaut und waren begeistert. »Habt ihr das gesehen? In den Häusern da drüben? Da sind große Räume mit großen Scheiben davor. Und drinnen gibt es alle möglichen Sachen. Sogar Schuhe!« Filippo blickte auf seine Füße, die in einem neuen Paar Sandalen steckten, seine alten hielt er in der Hand. Auch Luc war begeistert. »Kommt, das müsst ihr euch ansehen!«
Ira reagierte nicht. Tomas, der aufgestanden war, um
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