Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
der Stoffbahnen zurück. Ein blonder Haarschopf ragte hinter einem Stoß Kleidungsstücken hervor. Es war ein Mädchen, jetzt reckte sie sich und blickte über den Stapel hinweg. »Die sind für dich! Wo soll ich sie hinlegen?«
Simon nahm die Kleidung und legte sie auf das Bett.
Ashakida streckte sich neben ihm und leckte einmal kurz über ihr sanft schimmerndes Fell. Das blonde Mädchen erstarrte und blickte die Leopardin mit großen Augen an.
Simon lächelte. »Keine Angst. Sie tut dir nichts.«
Das Mädchen nickte stumm. Doch ihr war die Leopardin nicht ganz geheuer. Sie gab Simon noch ein Paar Schuhe, das sie an den Schnürsenkeln getragen hatte. Dann rannte sie davon.
Simon wollte gerade das Oberteil seiner Papierkleidung abstreifen, als ihm einfiel, dass Ashakida noch mit ihm in der Schlafbox war. Vorwurfsvoll sah er sie an.
Sie knurrte. »Ich bin ja schon weg. Du findest mich draußen.« Und mit einer eleganten Bewegung schlängelte sie sich durch die Vorhänge.
Die Sachen, die Philja ihm hatte schicken lassen, sahen anders aus als die Kleidung, die Simon sonst trug. Die Hose und die Jacke waren robust und mit groben Stichen zusammengenäht. Der harte Stoff scheuerte auf der Haut. Auch die Unterwäsche kratzte fürchterlich, genau wie der graue Strickpullover, der oben auf dem Kleiderstapel gelegen hatte. Simon musste sich beherrschen, ihn nicht sofort wieder auszuziehen. Die Lederschuhe, die er zuletzt anzog, waren grobe Treter im Vergleich zu den leichten Turnschuhen, die er sonst trug. Sie waren ihm etwas zu groß, doch die Wollsocken, die sie ihm geschickt hatten, waren so dick, dass die Schuhe kaum an seinen Füßen schlackerten. Simon band die Schnürsenkel fest zusammen und sah an sich hinab. Alles war besser als die Papierkleidung, sagte er sich. Außerdem würden seine eigenen Sachen bald wieder trocken sein.
Ein Kichern ertönte, als er hinaus in den Gang trat. Ira stand in der Tür des Schlafsaals. Eine Hand in der Tasche, schlenderte sie zu ihm. »Du siehst ja lässig aus.« Sie musterte ihn spöttisch von Kopf bis Fuß.
Simon wusste, wenn er eines in diesen Klamotten nicht war, dann lässig.
Er ließ sich nichts anmerken, sondern gab sich cool. »Dein Pullover ist echt klasse«, spottete er. »Wie viele Nummern zu groß ist er?« Ira wirkte in den Sachen, die sie von Philja bekommen hatte, kein Stück besser als er.
Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch Simon sah, wie sie an ihrem Wollpulli herumzupfte.
Ashakida kam in den Saal, hinter ihr betrat Philja den Raum, er warf der Leopardin einen unsicheren Blick zu. »Da seid ihr ja.« Er grinste, als er sie sah. »Jetzt seht ihr aus wie wir.«
Erst jetzt fiel es Simon auf: Niemand in dem Schlafsaal beachtete sie, die anderen Jugendlichen warfen ihnen eher beiläufige Blicke zu. Mit dieser Kleidung würden sie sich hier unten unauffällig bewegen können – zumindest, solange Ashakida nicht bei ihnen war. Trotzdem fühlte er sich in den groben Klamotten nicht wohl.
Philja wurde ernst. »Seid ihr bereit? In zwei Stunden müssen wir los.«
Simon spürte, dass der Rothaarige angespannt war. »Wohin?«
»Der Rat tritt zusammen. Sie wollen euch sehen.«
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34
Zwei Stunden später brachen sie auf. Sie folgten Philja durch die Gänge der Bunkeranlage bis zu einem Seitenausgang. Das kleine Tor war bewacht wie das Haupttor, durch das sie gekommen waren, zwei Jungen saßen an der Stahltür und ließen sie hinaus. Sie beobachteten die Leopardin mit argwöhnischen Blicken.
Kaum hatten sie den Bunker verlassen, änderte sich die Körperhaltung des Rothaarigen. Wie eine Raubkatze vor einem Sprung, wirkte Philja nun wach und aufmerksam. Seine Muskeln waren angespannt. Er legte seinen Finger auf seine Lippen und bedeutete ihnen, ruhig zu sein. Dann schlich er voran. Die anderen folgten ihm. Gemeinsam gingen sie durch die Unterwelt der Stadt.
Simon trug wieder seine eigene Kleidung. Er hatte sich umgezogen, weil er sich in seinen Sachen einfach besser und sicherer bewegen konnte. Nur die Jacke der Kinder hatte er übergeworfen, darüber trug er seinen Rucksack. Ira hingegen hatte sich für die Kleidung entschieden, die sie im Bunker bekommen hatte. Ihre Tasche hatte sie bei ihren Sachen gelassen. Simon sah, dass der feste Stoff ihrer Hose hilfreich war, wenn sie durch die Kanäle kroch und Schrägen hinaufkletterte oder hinabrutschte. Auch fiel ihm auf, wie geschickt Ira war, sie bewegte sich viel sicherer als er. Sie war aus
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