Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
passiert war. Sinkwitz hätte auch den unbedarften Matthiesen als Schlachtlamm hinausgeschickt, darüberwar sich Asmus nach diesen ersten Wochen in Westerland deutlicher im Klaren als vielleicht Lorns.
Als Asmus sich in der Tür zeigte, wurde aus dem Lärm Gebrüll. Es war bekannt, dass er Böhrnsens Festnahme veranlasst hatte. Er legte die Hände auf den Rücken und ließ die Männer schreien. Währenddessen musterte er sie aufmerksam. Einer nach dem anderen verstummte, unsicher geworden, weil er sich nicht beeindrucken ließ, vielleicht auch aus Furcht davor, sich selbst verantworten zu müssen. Nur Mausi krakeelte aus Leibeskräften und schlug mit den Armen den Takt, um die Männer mitzureißen.
Schließlich senkten auch die Kinder die Fähnchen und sahen sich nach den Erwachsenen um.
Das war Asmus’ Signal. »Leewe Lüd«, begann er. »Liebe Leute. Ich verstehe, dass ihr euch für einen als ehrenwerter Kollege bekannten Freund einsetzt. Aber er hat in tiefer Nacht einen ihm unbekannten Mann angegriffen und seinen Tod verursacht. Wir sind genötigt, diesen Tod zu untersuchen, dafür sind wir da. Ich vermute, wenn es einen von euch getroffen hätte, würde er nicht wollen, dass die Tat eines Totschlägers unter den Teppich gekehrt wird. Oder?«
Antwort erhielt er nicht.
»Ihr gehört doch der ehrenwerten Zunft der Kaufleute an? Früher nannte man sie so, und ich bin ganz sicher, dass dieser Geist auch in der Kaufmannschaft von Sylt erhalten geblieben ist.«
»Wieso vermutest du das?«, brüllte jemand aus dem Hintergrund ungehalten.
»Meine Heimat ist die Hansestadt Rostock. Meine Brüder sind Reeder. Kaufleute wie ihr. Alle Kaufleute sind einander verbunden.«
Offene Zustimmung erhielt Asmus nicht, jedoch stillschweigende. Die meisten Männer drehten sich um und trotteten zu zweit oder zu dritt flüsternd davon. Einer der letzten Eindrücke, die in Asmus’ Gedächtnis haften blieben, war Lehrer Honke Paulsen, der die halben Fähnchen einsammelte und dann die Kinder mit ausgebreiteten Armen vor sich her fortscheuchte.
Der andere Eindruck gehörte Mausi.
Wie festgefroren blieb sie auf dem sich leerenden Platz vor der Polizeiwache stehen. Dass ihr Verlobter Honke Paulsen eingeknickt war, scherte sie offenbar nicht im Geringsten. Aber Asmus warf sie einen lodernden, hasserfüllten Blick zu.
»Fräulein Böhrnsen …«, begann er.
»Schweigen Sie!«, schnaubte sie. »Noch nie hat mich ein Mann so enttäuscht wie Sie!« Sie drehte sich um und marschierte mit klackernden Hacken davon.
»Welch unübersichtliche Verhältnisse hier«, stöhnte Asmus und vergrub die Hände in seinen blonden Haaren.
»Ist wohl so.« Hans Christian Bahnsen, der am späten Abend neben Asmus auf der Bank saß, nickte tiefsinnig und sog an seiner schnorchelnden Pfeife.
»Man kennt hier nicht Freund oder Feind«, fuhr Asmus gedämpft fort, »man weiß nicht, wer auf der Seite des Gesetzes steht. Im Großen und Ganzen gibt es nur eins: Schweigen.«
»Insel eben.«
Für den Werftbesitzer mochte das ein ausreichender Grund sein, für Asmus nicht. »Hat Böhrnsen mal versucht, dich zur NSDAP hinzulocken?«
»Sicher. Ein erstes Mal vor langer Zeit. Dann nicht mehr. Er weiß, dass ich seine Partei nie wählen würde.«
»Kann Jochims Unfall mit diesen politischen Verwicklungen zu tun haben?«
»Bestimmt nicht. Sieh mal, die Verhältnisse, die du unübersichtlich nennst, waren lange stabil. Was neu ist, ist deine Anwesenheit. Es gibt Leute, die nervös werden. Das soll kein Vorwurf sein.«
Vermutlich hatte Bahnsen recht. Und Schröders sporadisches Auftauchen in Munkmarsch hatte lediglich damit zu tun, dass hier die Fähre zum Festland ablegte. Mit der Überstellung von Böhrnsen nach Husum am nächsten Morgen sollte dieses Kapitel also beendet sein.
KAPITEL 12
Das Kapitel Böhrnsen war leider am nächsten Morgen nicht beendet. Böhrnsens Arrestzelle war aufgebrochen, er selbst verschwunden.
Als Verantwortlicher wurde wiederum Asmus per Telefonanruf in die Wache beordert. Alarmiert durch Matthiesen, traf er ein, bevor Sinkwitz angekommen war.
Asmus machte ein fragendes Gesicht, als er es bemerkte.
Matthiesen zuckte voller Unschuld die Schultern. »Ich habe erst das Journal vervollständigt, bevor mir einfiel, dass Sinkwitz alarmiert werden muss. Es ist auch vernünftiger, ihn ausschlafen zu lassen, hier kann er ja doch nichts ausrichten.«
»Oh ja, da hast du recht.« Asmus grinste, und Matthiesen grinste zurück. »Wer kann
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