Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
ebenso wenig wie die der Nachbargeschäfte. Allmählich schien sich auch hier Armut auszubreiten.
Bonde Sibbersens erwartungsvolle Miene wechselte in Abneigung, als Asmus sein Geschäft betrat. »Was wollen Sie denn?«, knurrte er.
»Herr Sibbersen, ich hoffe, dem Verschwinden der Briefe, die Sie erwarten, auf die Spur gekommen zu sein. Die Postsachen der Insel werden vor Abfahrt der Fähre in einem Schuppen aufbewahrt. Jemand besitzt einen Nachschlüssel und kontrolliert offenbar die ausgehende Post regelmäßig. Bei der vom Festland ankommenden ist es weniger einfach, aber auch das passiert.«
»Und was geht mich das an?«, schnaubte Sibbersen. »Ich habe damit nichts zu tun.«
»Doch. Ich habe den Eindruck, dass es ausschließlich um Ihre Briefe geht. Möglicherweise wurden insgesamt auch zwei ganze Postsäcke gestohlen. Aber Sie vermissen mehr als zwei mögliche Briefe, oder?«
»Ja. Ja, in der Tat. Cord antwortete selten auf meine Fragen, und was er erzählte, hatte für mich oft keinen Zusammenhang, weil es an einen Brief anschloss, den ich offensichtlich nicht erhalten hatte. Bei seinem letzten Besuch fanden wir dafür keine Erklärung, außer dass Briefe mit Absender Cord oder Bonde Sibbersen gelegentlich zum Verschwinden gebracht werden. Wir hatten die Westerländer Poststelle in Verdacht. Beschwerden wären sinnlos gewesen, deswegen haben wir geschwiegen.«
»Könnten Sie mir eine Aufstellung machen von erwarteten, aber nicht erhaltenen Antwortbriefen, oder ist das zu viel verlangt?«
»Wissen Sie, ich habe alles notiert, was Cord betrifft«, antwortete Sibbersen weich, um gleich wieder argwöhnisch zu werden. »Dieser Herr Jung …«
»… ist ein notorischer Opportunist, brandehrgeizig noch dazu. Er glaubte, seine Aufstiegschancen verbessern zu können, indem er Sie wegen der Zeitungsanzeige verwarnte. Ich war nicht da, um ihn zurückzuhalten.«
»Ich habe mich da wohl vertan, was Sie betrifft …«
»Ja, voll und ganz, Herr Sibbersen. Haben Sie denn in den letzten Tagen Nachricht aus Frankfurt erhalten?«
»Nein.«
»Vor zwei Tagen wurde ein Postsack aus dem Schuppen gestohlen, der eigentlich mit dem Zug nach Westerland hätte weiterreisen sollen. Der Diebstahl ganzer Säcke ist wohl eine Notmaßnahme des Täters, wenn er befürchtet, beim Durchsehen der Post erwischt zu werden.«
»Ja. Aber warum das alles? Wer gibt sich Mühe, meine Korrespondenz mit meinem Sohn zu stören?«
»Eben. Das ist die Frage. Ich vermute deswegen, dass es vor allem um Geschäfte geht. Um Sylter Geschäfte.«
Die Schultern des Kaufmanns zogen sich zusammen.
»Habe ich recht?«, setzte Asmus nach.
»Könnte sein«, stammelte Bonde Sibbersen. »Ich habe Cord immer das Neueste aus der Geschäftswelt berichtet, damit er auf dem Laufenden bleibt: Wer wo bauen will, also Privathäuser in einsamer Gegend, Hotels in schönster Umgebung. Manchmal nur Gerüchte, häufiger von beantragten Vorhaben. In letzter Zeit weniger …«
»Warum?« Asmus, der meinte, darin eine bestimmte Aussage auszumachen, ließ seine Frage sofort folgen.
»Ja … Einfach so.«
Asmus kaute unschlüssig auf seiner Wange und beobachtete Sibbersen. Der hatte einen Grund, mit dem er nicht herausrücken wollte. Da es keinen Sinn hatte, ihn zwingen zu wollen, wandte sich Asmus etwas anderem zu. Er kam um die vielleicht entscheidende Frage nicht herum. »Herr Sibbersen, welche Schuhgröße hat Ihr Sohn?«
»Um Gottes willen! Hat er ein Verbrechen begangen?« Sibbersen streckte Asmus die gefalteten Hände entgegen.
»Nichts dergleichen«, sagte Asmus rasch. »Bitte regen Sie sich nicht auf! Ich muss ausschließen, dass Ihr Cord mit einem anderen Fall zu tun hat.«
»Ach so. Er hat Schuhgröße neununddreißig.«
Im Gegensatz zu Sibbersen war Asmus keineswegs beruhigt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Leider wäre nur die Größe einundvierzig und darüber geeignet gewesen, Cords Verschwinden und den Mordfall gänzlich unabhängig voneinander zu betrachten.
Nun kam der unangenehmste Teil. Asmus legte den Schuh auf den Kaufmannstisch. »Kennen Sie diesen Schuh?«
Sibbersen holte eine Brille hinter der Kasse hervor, rückte sie auf seiner Nase zurecht und nahm den Schuh zur Hand, um ihn von allen Seiten zu mustern. Dann schüttelte der den Kopf. »Noch nie gesehen. Cord gehört er nicht.«
Asmus nahm den Schuh wieder an sich. Er war nur halbwegs überzeugt. »Dann ist das geklärt. Schreiben Sie den Freunden von Cord heute noch, erklären
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