Der Tote am Lido
gestürzt hat. Er hat sich in der Bar sogar damit gebrüstet.«
Es wurde plötzlich finster in dem Container. Ein Lieferwagen hatte vor dem Fenster gehalten, die Bremsen zischten. Ein junger Mann mit langen Locken, die untereinem Piratentuch hervorquollen, sprang aus dem Führerhaus und ging mit den Frachtpapieren ins Kühlhaus.
»Eine neue Abfüllung. Von den Ätna-Hängen. Der ist besonders schwer und würzig. Wollen Sie von dem auch eine Flasche?«, fragte Tarantella mit einem gequälten Lächeln.
Lunau schüttelte den Kopf. »Wie glauben Sie, dass Sie De Santis zur Strecke bringen können?«
»Ich hasse diesen Mann. Aber das ist nur ein primitiver Affekt. Wichtiger ist, dass wir das ausradieren, wofür dieser Mann steht. Das Gesetz des Stärkeren. Dessen Stärke allein auf Brutalität beruht. Das Prinzip ist ganz einfach. Sie können es schon bei Kleinkindern beobachten: Wer sich nicht scheut, dem anderen Schmerzen zuzufügen, der gilt als Anführer. Dem unterwerfen sich die Kameraden. Aus aufrichtiger Bewunderung? Aus Angst? Aus Feigheit?«
Lunau schwieg. Was sollte man dem schon hinzufügen?
»Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Zivilgesellschaft auf anderen Prinzipien basieren muss. Nicht, weil mir das Gesetz der Brutalität zu hart wäre. Sondern weil es die konstruktiven menschlichen Talente unterdrückt: Phantasie, Empathie, Kreativität. Es basiert auf Zerstörung. Ich mag ein Romantiker sein, aber ich bin sicher, dass wir Menschen durch unsere Schaffenskraft mehr bewirken können. Ein Reh kann man nur einmal schießen und verzehren, aber eine Ähre macht satt und gibt gleichzeitig den Samen für eine neue Ernte.«
Lunau überlegte. Das alles klang zu schön, um wahrzu sein. Tarantella redete von einem Geschäftsmodell, mit dem er den Kampf längst verloren hatte.
»Ich bewundere Ihren Idealismus. Aber ich glaube, Sie jagen einem Traum nach.«
»Ich habe ganz persönliche Gründe dafür.«
»Mag sein, aber es ist eben nur ein Traum.«
»Was meinen Sie?«
»Wann haben Sie das letzte Mal mit Gianella gesprochen?«
»Vorgestern, warum?«
»Gianella ist als Präsident zurückgetreten.«
»Was? Das würde er nie tun. Man hat Ihnen einen Bären aufgebunden.«
Lunau schüttelte den Kopf. »Es hat gestern Abend eine außerordentliche Mitgliederversammlung gegeben. Einziger Tagesordnungspunkt: der Rücktritt des Präsidiums.«
Tarantella verzog seinen Mund zu einer ungläubigen Grimasse. »Gianella war derjenige, der vor dreißig Jahren die ersten Tiere ausgewildert hat. Er hat sein Leben der philippinischen Venusmuschel gewidmet. Er kennt die Lebensbedingungen und Marktschwankungen wie kein zweiter. Die Genossenschaft wird niemanden finden, der ihn ersetzen könnte. »
»Sie haben schon jemanden gefunden.«
»Wen?«
»Totò De Santis.«
Plötzlich war all die Energie, die Lunau bestaunt hatte, aus Tarantella gewichen. Sein Körper wurde schlaff und ältlich.
»Das glaube ich nicht. Das wäre für die Goresi ein Selbstmord. Sie müssen falsch informiert sein. De Santis kennt sich mit Muschelzucht kein bisschen aus. Er ist ein Großhändler, er ist noch nicht einmal Mitglied der Genossenschaft.«
Lunau holte sein Aufnahmegerät aus der Tasche und spielte Tarantella den Mitschnitt von der Versammlung vor.
Dieser setzte sich nach einer Weile auf einen Weinkarton und sank in sich zusammen. Er schüttelte den Kopf, nahm ihn zwischen die Hände, biss sich auf die Faust. Lunau war erstaunt, dass ein Mann mit Tarantellas Haltung sich zu einer solchen Theatralik hinreißen ließ. Aber Süditaliener hatten nun einmal eine expressivere Körpersprache.
»Sie können sich nicht vorstellen, was das für Konsequenzen hat. De Santis kontrolliert den illegalen Muschelmarkt. Wenn er jetzt auch noch den legalen dominiert, kann er die Preise und Konditionen nach Belieben gestalten.«
»Ein Monopol. An dem Sie nicht ganz unschuldig sind. Die Genossenschaft in Goro war in finanziellen Schwierigkeiten. Ihre Zahlungen waren in letzter Zeit sehr schwankend.«
»De Santis hat seine dominante Stellung genutzt, um die Preise immer weiter nach unten zu treiben. Teilweise kaufte er Muscheln für 3,50 € das Kilo, um sie zu 3 weiterzuverkaufen.«
»Wie kann er sich das leisten?«
»Er hat unzählige Einnahmequellen, und der Großteildes Geldes muss gewaschen werden. Ein gewisser Verlust ist da einkalkuliert.«
»Vor allem, wenn dieser Verlust nur vorläufig ist, weil man damit die totale Kontrolle über den
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