Der Tote am Lido
Markt erlangt.«
»Genau. Es ist eine Investition, die sich, falls die Konkurrenten einknicken, doppelt auszahlen wird.«
»Aber warum haben Sie die Genossenschaft in Goro hängen lassen?«
»Ich zahlte den Goresi 4,50 € das Kilo, damit konnte ich meine laufenden Kosten nicht mehr tragen. Ich machte Verluste mit dem Muschelgeschäft. Ich kann mir das nicht auf Dauer leisten, ich bin kein Geldwäscher. Allerdings hätten die Preise wieder angezogen, spätestens im Vorweihnachtsgeschäft. Wenn die Privatleute kaufen. Wir hätten nur den Sommer überstehen müssen. Wo sowieso nur Verrückte Meeresfrüchte essen.«
Lunau dachte nach. Der Sommer war also entscheidend für diesen Kampf gewesen. Dieser Sommer. Einschüchterungsversuche bei Gianella, der daraufhin zurücktritt. Aber es reichte nicht, den alten Präsidenten weichzukochen, dem Nachfolger musste die Mehrheit der Züchter die Stimme geben. Woher kam diese Mehrheit?
»Hat man denn die anderen Züchter ebenfalls eingeschüchtert?«, fragte Lunau.
»Drohgebärden sind an der Tagesordnung. Immer wieder wurden in Goro Reifen abgestochen, Boote und Autos in Brand gesetzt. Es gibt einen ganzen Regelkodex,mit dem man den Gegner gefügig machen will.«
»Und Mord?« Tarantella sah auf.
»Nein. Tote hat es schon lange nicht mehr gegeben. Und wenn, dann war das eher ein Versehen, zum Beispiel ein Streit auf See, der eskalierte. Wenn die Züchter Wilderer erwischten, kam es manchmal zu Verfolgungsjagden, Boote wurden gerammt, es ging auch mal einer über Bord und ertrank. Aber einen kaltblütig geplanten Mord gab es nie.«
»Und wenn der Mord an Meseret ein letztes, starkes Signal war? Ein Signal, das für die Ermittlungsbehörden unverständlich war, nicht jedoch für die eigentlichen Adressaten? Für die Züchter in Goro?«
»Sie meinen, De Santis hat diesen Meseret umgebracht, um die Kontrolle über die Muscheln in Goro zu bekommen?«
»Meseret war nicht sonderlich beliebt. Ein Schwarzer, der in ein nahezu hermetisches System eindringt. Die Goresi sind vielleicht keine Rassisten, aber normalerweise wurden die Konzessionen nur innerhalb des Dorfes vergeben. Man setzt ein Zeichen und weiß, dass man damit vielleicht sogar Sympathien gewinnt.«
Tarantella nickte. Er schien fassungslos. »Klingt ebenso raffiniert wie diabolisch. Aber es ist ausgeschlossen.«
Es wurde geklopft, der junge Mann mit der Lockenmähne kam herein. Er entschuldigte sich, gab Lunau die Hand, lachte und umarmte Tarantella. »Du wirst begeistert sein. Wir haben eine neue Art von Steineichenfassverwendet. Das hier sind die Papiere«, sagte er.
»Ich komme sofort«, sagte Tarantella und blieb stehen, nachdem der Mann verschwunden war.
»Das ist Luca. Einer der jungen Weinbauern vom Ätna, ein Junge, der sich nicht entmutigen lässt. Der den ganzen Tag an den Reben arbeitet und in der Nacht die LKW fährt.«
»Warum ist es ausgeschlossen, dass man Meseret wegen dieser Machtspiele umgebracht hat?«
»Totò De Santis kann wirtschaftlich nur überleben, wenn ihm keiner auf die Finger schaut. Und bei einem Mord schauen die Behörden genau hin. De Santis hat nur noch ein Ziel: Das Image des Saubermanns. Er kann es sich nicht leisten, auch nur im Entferntesten mit Mord in Verbindung gebracht zu werden.«
Lunau nickte. Er gab Tarantella die Hand, und dieser umarmte ihn wieder mit der Kraft, die er bei ihrem ersten Zusammentreffen ausgestrahlt hatte.
Wieso nur fühlte Lunau sich so hingezogen zu diesem Mann? Da fiel sein Blick auf den Schreibtisch. Dort stand ein Foto, das Gennaro Tarantella inmitten seiner Familie zeigte. Die Farben waren ausgebleicht und hatten den typischen Rotstich der achtziger Jahre. Tarantella war ein braungebrannter, junger Mann, seine Frau eine strahlende Schönheit, die einen Säugling auf dem Arm trug. Zwei weitere Kinder hingen an den Händen ihrer Eltern und lachten. Eines dieser Kinder war inzwischen tot.
Lunau löste sich aus der Umarmung und sah seinemGegenüber in die klaren, stechenden Augen. Dieser hatte Lunaus Blick auf das Foto abgefangen und nickte.
44
Als Lunau sich in seinen Leihwagen setzte, war es kurz vor zwölf. Er wollte gerade den Motor anlassen, um zu Silvia zu fahren, als sein Handy klingelte. Michele Balboni, der Kommissar. »Ich habe schlechte Nachrichten.«
Lunau wartete.
»Wir haben um zwei einen Haftprüfungstermin für Michael Duhula.«
»Und?«, fragte Lunau, obwohl er ahnte, was Balboni ihm sagen würde.
»Ich fürchte, wir werden
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