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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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des Motors zu einem Dröhnen. Lunau nahm den Fuß vom Gaspedal, aber er hatte gar kein Gas gegeben. Er sah auf den Drehzahlmesser – die Drehzahl war niedrig. Er zog den Zündschlüssel ab, das Geräusch schwoll weiter an, ein Singen mischte sich darunter, als wollte eine Turbine ein tonnenschweres Fluggerät vom Boden heben. Lunau sprang aus dem Auto, das Geräusch nahm weiter zu. Er drehte sich nach dem roten Wagen um, in dem der Mann seine Zigarette ausdrückte und interessiert herausblickte.
    Lunau stand am Seitenfenster des roten Autos. Der Mann am Steuer war Ciro De Santis. Der Mann, der mit einer Eisenstange auf Oba eingeschlagen hatte. Er lehnte sich zurück und ließ die Scheibe heruntergleiten. »Na?«, fragte er grinsend.
    »Würden Sie bitte aussteigen?«
    »Wozu?«
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    In Lunaus Kopf mischten sich wieder die Stimmen von Silvia, Mirko und Sara mit denen von Jette, Paul und Stefan. Er hörte sogar das Klavierspiel seines Vaters, die Geige der Mutter. Er hörte die Dvorˇák-Duos, die er immer gehasst hatte, das Pizzicato der Saiten pickte in seinem Hirn.
    Der Mann zuckte mit den Achseln und stieg betont langsam aus.
    »Bringen Sie mich zu Ihrem Bruder.«
    »Zu welchem Bruder?«
    »Zu Totò De Santis.«
    »Wieso sollte ich das tun?«
    »Ich muss mit ihm reden.«
    »Sie können mit mir reden.«
    Der Mann hatte hängende Lider, unter denen die Augäpfel halb verdeckt waren. Lunau dachte an die Begeisterung, mit der er Oba malträtiert hatte.
    »Ihr Bruder muss wissen, was ich zu sagen habe.«
    Lunau versuchte, den Überblick zu bewahren. Er hörte die Stimme seines Gegenübers klar und deutlich. Sie schien auf einem anderen Kanal zu tönen als die Geräusche in seinem Kopf, aber sie erhöhte seine Gereiztheit.
    »Es ist wichtig. Gerade für De Santis.«
    Der Mann lächelte. »Jetzt überschätzen Sie aber, glaube ich, Ihre Bedeutung.«
    »Wenn ich so unbedeutend wäre, würde De Santisnicht einen seiner Lakaien abstellen, um mich rund um die Uhr zu bewachen. Oder gibt es sonst wirklich gar keine Verwendung für Sie?«
    Der Mann fing an, auf der schwülen Nachtluft herumzukauen. Er stemmte seinen Arm in die Hüfte, die Ränder eines Schweißflecks wurden sichtbar, außerdem der Knauf einer automatischen Pistole.
    Lunaus Hirn wurde von tönenden Bildern gepiesackt. Er sah das zerschmetterte Gesicht von Meseret, die hektischen Seitenblicke von Sara. Er hörte ihre Schreie, mit denen sie nachts aus dem Schlaf hochfuhr, das Dröhnen der Motoren, das Klatschen der Algen, die in den Bootsrumpf fielen, das Surren der Elektromotoren. Und da war diese Pistole, zum Greifen nahe. Ich muss mich beherrschen, sagte er sich, ich muss mich beherrschen. Aber nur weil die Leute sich beherrschen und beherrschen lassen, haben solche Drecksäcke Macht.
    Lunau roch das aufdringliche Rasierwasser des Mannes, seinen Atem, kalte Zigaretten und Pfefferminze, und er dachte an seine Kindheit zurück, an die beiden Brüder, die jeden Morgen an der Bushaltestelle auf ihn warteten, ihn angrinsten und ihm, einer nach dem anderen, ihre Fäuste in den Magen schlugen, bis Lunaus Atmung aussetzte und er zusammenklappte. Sie taten es unaufgeregt, fast gelangweilt, wie eine Routine, der man nachzugehen hat, so wie Zähneputzen und samstags Autowaschen.
    »Glauben Sie, Sie machen mir Angst mit Ihrer Scheißknarre? Erschießen Sie mich doch. Los!« Erbohrte dem Fettwanst einen Zeigefinger in den weichen Bauch. Der Mann griff sich an den Bügel der Sonnenbrille und schob sie sich noch höher auf den fast kahlgeschorenen Schädel. Diese Sonnenbrille, mitten in der Nacht, brachte Lunau noch mehr auf. Der Mann trat einen Schritt zurück und grinste wieder. »Na? Haben wir unsere Nerven nicht mehr im Griff?«
    Lunau sammelte die Spucke in seinem Mund, legte sie sich auf der Zunge zurecht und rotzte sie dem Mann ins Auge.
    »Sag deinem Boss, dass er gewonnen hat. Ich reise ab. Aber wenn ich noch einmal jemanden von euch sehe, und sei es nur so einen kleinen Lakaien wie dich, dann bringe ich ihn um.«
    Der Mann wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und betrachtete ungläubig den dunklen Fleck auf dem Stoff. Lunau wartete auf eine Reaktion. Sein Gegenüber blickte ihm starr in die Augen, mit einem kalten kontrollierten Blick, unter dem sich der Mund zu einem Grinsen verzog. Lunau spürte die Erregung in den Eingeweiden und in den Knien. Er drehte sich um und ging langsam zu seinem Wagen zurück. Seine Beine zitterten, und

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