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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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musste er dessen Aufmerksamkeit erwecken und sich in Sicherheit bringen.
    »Mach, was du willst«, sagte Gianella, »aber mach mein Boot los.«
    »Wozu?«
    »Ich will wieder reinfahren«, sagte Gianella und sah dem Wachmann zu, wie er unbeholfen auf den Kommandostand seines Motorbootes kletterte, um das Funkgerät zu holen. Diego Gianella setzte die Puzzlesteine zusammen: De Santis hatte Meseret hier umgebracht und sein Boot versenkt. Der Wachmann war ein Gefolgsmann von De Santis. Oder ein Komplize? Hatte er in der Mordnacht beide Augen zugedrückt, oder hatte er De Santis sogar herbeigerufen, nachdem er Meseret entdeckt hatte? Weil die Gelegenheit günstig war? Der Wachmann stand an der niedrigen Reling und drückte die Ruftaste seines Funkgeräts. Er kehrte Gianella für einen Moment den Rücken zu. Dieser sprang auf die Bordwand, das Boot des Wachmanns legte sich unter seinem Gewicht zur Seite und warf, wie ein bockiges Pferd, seinen Besitzer ab. Der Kerl versank mitsamt Funkgerät im Wasser.
    Gianella legte den Gang ein, die Schraube wirbelte durch das seichte Wasser und gab dem Rumpf einen Schub.
    »Lass den Unsinn! Komm zurück.« Der Wachmann stand gestikulierend in dem seichten Brackwasser. Gianella fuhr volle Kraft voraus. Meserets Boot hing an der Winde im Heck und tanzte im Kielwasser, während das Schnellboot des Wachmanns an Tauen und Fendern ächzte. Die Masse des zu verdrängenden Wassers war enorm, aber der Dieselmotor war kräftig und ausdauernd.
46
    Die Digitaluhr im Armaturenbrett warf ein bläuliches Licht auf die Sitze. In der Via Bologna beschleunigte ein Motorrad, das Röhren schwappte in die Via Fabbri, dann verebbte es. Das rote Auto und die glühende Zigarette hatte Lunau nicht mehr gesehen. Er beobachtete in den Rückspiegeln die finstere Straße und gleichzeitig Silvias Haus.
    Sein Handy klingelte, Hendrik, der Freund von »Solidarnews« war dran. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte er zur Einleitung. Er hatte nie viel Zeit. Er lebte unter falscher Identität, schrieb vor allem für Internetblogs und drehte mit einer Handkamera Dokumentationen, für die er nur selten einen Sendeplatz fand. Nebenher arbeitete er in Hamburg als Kellner und Fahrradbote, um sich und seine drei kleinen Kinder zu ernähren.
    »Was hast du herausgefunden?«
    »Ich habe einen Totò De Santis aus Palma Campania gefunden.«
    »Das ist er.«
    Hendrik schwieg.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Lunau.
    »Die Sache ist merkwürdig. Ich habe mich bei Kontaktleuten in Italien umgehört. Seit etwa zehn Jahren ist er wie vom Erdboden verschwunden.«
    »Er hat sich im Norden eine neue Existenz aufgebaut. Und davor?«
    »Geboren 1958 in Palma Campania als Sohn eines kleinen Camorrista und einer Hausfrau. KlassischeKarriere bei einem Clan, zuerst als Laufbursche, Drogenkurier, mit siebzehn der erste Auftragsmord. Er hat sich einen legendären Ruf erworben, weil er mit Kampfhunden in die Arena stieg.«
    Lunau dachte an das Stück Ohrmuschel, das De Santis fehlte.
    »Er soll es bis zu einem Statthalter in den westlichen Randbezirken Neapels gebracht haben. Die üblichen Verwicklungen in Prozesse, in Bestechungsskandale von Lokalpolitikern und Richtern. Zwei kürzere Haftstrafen. Angeblich war er einer der ersten, die den Parallelmarkt mit Metaamphetaminen aufgebaut haben. Aber dann verliert sich plötzlich seine Spur. Er hat es sogar geschafft, sämtliche Interneteinträge löschen zu lassen.«
    »Weißt du etwas über seine Brüder? Ciro und Pasquale.«
    »Ebenfalls abgetaucht.«
    »Danke«, sagte Lunau.
    »Kannst du damit etwas anfangen?«
    »Ja.«
    Hendrik schwieg. Als Lunau auflegen wollte, sagte er: »Ich will gar nicht wissen, woran du arbeitest, jedenfalls nicht am Telefon, aber …«
    »Aber?«
    »Totò De Santis soll mehr als dreizehn Morde begangen haben. Er ist einer der Leute, die es aus Vergnügen tun.«
    »Er hat sich eine neue Existenz aufgebaut. Hier kann er sich keinen Mord leisten.«
    Lunau legte auf. Er war kein bisschen überzeugt von dem, was er eben gesagt hatte. Wenn Sie diese Wohnung verlassen, sind Sie tot. Lunau sah immer wieder Michaels zitternde Augäpfel vor sich. De Santis, bei diesem Namen war Michael panisch geworden. Die Angst vor De Santis war stärker gewesen als die Todesangst. Wie sollte Lunau gegen so jemanden kämpfen? Ohne Waffe? Hendrik hatte recht. Es war unmöglich. Lunau war an eine Grenze gestoßen. Er hatte sich mit Konzernen und Politikern, mit Bürgerkriegsparteien und modernen

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