Der Tote am Lido
auch, dass du deine Sachen sofort mitnehmen sollst.«
»Wohin denn? Ich muss in einer Viertelstunde am Treffpunkt sein.«
»Die Wohnung muss in wenigen Stunden geräumt sein.«
»Aber wieso? Ist sie nicht bis Samstag bezahlt?«
»Ich muss heute zurück nach Deutschland. Bevorich die Übergabe abwickeln kann, muss die Endreinigung gemacht sein.«
»Die Endreinigung kann ich erledigen. Bis Samstag schaffe ich das locker. Und bis Samstag kann ich mir auch eine andere Unterkunft suchen.«
»Es muss heute geschehen.«
Oba blickte mürrisch in seinen Milchkaffee.
»Bitte nimm deine Sachen mit, wenn du zur Arbeit gehst«, sagte Lunau und streckte Oba die Hand hin. Dieser ignorierte sie und kaute lustlos seinen Brei.
Lunau fuhr seinen Rechner hoch und buchte einen Flug nach Berlin, 17.35 Uhr ab Bologna. Er ging unter die Dusche und dachte nach. Er würde Geschenke für Silvia und die Kinder kaufen, die Wohnung putzen, die Schlüssel in den Briefkasten der Agentur werfen und den Leihwagen in Ferrara abgeben. Vorher wollte er sich noch von Amanda verabschieden. In seinem Hals bildete sich ein Knoten, wenn er an seine stille Remise dachte, an die langen Flure in seinem Radiosender, das schlauchförmige Büro mit den grauen Wänden, in dem er eine Stereoanlage und die CDs belangloser Produktionen anstarrte.
Amanda lag in dem Zimmer, in dem Mirko geschlafen hatte. Ihre Tasche aus LKW-Plane lag auf dem Nachtkästchen, am Boden verstreut ihr Smartphone, Unterwäsche und Ethnoschmuck. Ihr Duft hing in der Luft.
»Amanda«, flüsterte Lunau.
Sie drehte sich um, und er sah ihre kleinen Brüste, die Brustwarzen, die sich unter dem T-Shirt abzeichneten.Ihr langer Hals sah dünn und zart aus. Er strich ihr über die warme Haut und sagte: »Tut mir leid, was ich heute Nacht gesagt habe. Ich weiß nicht, warum ich so ungerecht war.«
»Du bist ungerecht, weil du aufgibst.«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist das einzig Vernünftige.«
»Du lässt die Schweine gewinnen.«
»Selbst wenn ich De Santis zur Strecke bringen würde – der Nächste steht bereit, um seinen Posten zu übernehmen.«
»War das nicht überall so, wo du bisher jemanden entlarvt hast?«
»Vielleicht.« Amanda war unerbittlich, sie war dabei, eine richtige Frau zu werden. Lunau war nur noch müde.
»Aber du hast es trotzdem getan.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe noch eine Bitte. Kannst du zu Silvias Haus fahren und unauffällig Wache schieben, so lange ich noch in Ferrara bin?«
»Ich arbeite am Nachmittag wieder für Ex .«
»Ab wieviel Uhr?«
»Ab drei.«
»Das schaffen wir. Ich muss nur noch schnell etwas erledigen, und dann komme ich bei Silvia vorbei.«
Sie nickte. »Wann soll ich los?«
»Am besten sofort.«
Sie schnaubte und schob ihre langen Beine aus dem Bett. Lunau legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel und schloss die Augen. Er mochte ihren Mut, ihre Unberechenbarkeit,und er mochte ihre Schenkel. Er musste sich beherrschen, stand auf und tätschelte Amanda den Kopf.
»Arschloch«, sagte sie leise.
49
Lunau hastete durch die Geschäfte am Corso, in dem sich greller, aus China importierter, Tand stapelte: bunte Lämpchen und Ventilatoren, die man in den USB-Port am Rechner schieben konnte, Motiv-T-Shirts mit vulgären Sprüchen, Bierkrüge und seichte Romane im Softcover. Er fand einen Spielzeugladen und kaufte ein Gesellschaftsspiel, das Paul und Stefan geliebt hatten. Nach und nach entstand auf dem Tisch eine mittelalterliche Landschaft mit Wehrdörfern und Klöstern, Wiesen und Teichen, die man, obwohl man konkurrierte, gemeinsam baute. Ein Abschiedsgeschenk für Silvia zu finden war besonders schwer. Wenn es zu teuer war, würde sie das als sanfte Erpressung werten, wenn es zu persönlich war, ebenfalls.
Als er in die Wohnung zurückkam, stellte er fest, dass Oba nicht ausgezogen war. Lunau nahm die Taschen, die er finden konnte, und erbost stopfte er die herumliegenden Klamotten, Toilettenartikel und sonstigen Habseligkeiten hinein. Dann lud er die Taschen sowie das eigene Gepäck in das Auto. Als er den Kofferraumdeckel zuschlug, hörte er seinen Namen. Er fuhr herum. Die Stimme gehörte einer Frau. Es war die Angestellteder Agentur »Adrie Case«, die ihm mit ihrem kantigen, nicht unfreundlichen Gesicht vor zwölf Tagen die Wohnungsschlüssel und die Hausordnung überreicht hatte, nachdem sie Miete plus Nebenkosten und eine üppige Kaution im Voraus kassiert hatte. Jetzt war ihr Gesicht weniger freundlich. »Sie
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