Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
spanischen Küsten, mit mäßigem Erfolg. Mal passten Wassertemperatur oder Salzgehalt nicht, mal gab es zu viele oder zu wenig Mikroalgen. Gianella ahnte, dass die seichte Lagune vor Goro, mit dem nährstoffreichen Süßwasser aus dem Po und dem milden Salzwasser der Adria, die ideale Mixtur bot.
    Er kam in den Semesterferien nach Goro, mit seinen Styroporboxen und den kleinen Tieren. Er ließ sichbelächeln und auf den Arm nehmen, vor allem nachdem die erste Saat abgestorben war. An der Universität hatte er sich fremd gefühlt, nun behandelte man ihn auch zu Hause wie einen Fremden. Ein Jahr später umschmeichelte ihn das ganze Dorf. Die Muscheln vermehrten sich von alleine, drängten sich auf dem Grund der Lagune, die Fischer mussten sie nur an Bord holen und auf den Markt tragen, wo man ihnen ein kleines Barvermögen in die Hand drückte. Sie mussten nicht einmal mehr hinaus auf See, sie konnten in der geschützten Lagune bleiben, mit kleinen, billigen Jollen. Innerhalb eines Jahrzehnts verschwanden aus Goro die Plumpsklosetts und die strohgedeckten Dächer. Die Beerdigungen wurden seltener. Die Fischer kauften sich neue Autos, ein Reisebüro eröffnete. Die Goresi überwanden sogar ihre Angst vorm Fliegen, um einander mit ihren Urlaubszielen zu übertreffen. All das war Gianella zu verdanken.
    Er schaltete den Motor ab und ließ den Kutter durch die Claims gleiten. Mit der Taucherlampe leuchtete er ins Wasser. Brassen und Sardellen schossen zwischen den Algen herum, Krebse jagten über den geriffelten Sand.
    Er zog so viel Stahlseil von der Winde, dass er mit dem Haken nach der Öse am Bug angeln konnte. Am Nachmittag hatte Gianella bei Ebbe einen Rumpf in den Algen funkeln sehen, und er hatte sofort an Meserets Boot gedacht, das verschwunden war, seit Meseret verschwunden war. Gianella startete die Winde und legte den Steuerungshebel um. Ein Ruck ging durch den Kutter, das Seil ächzte, der Bug des versunkenenBootes tauchte aus dem Meer auf, während das Wasser aus dem Rumpf prasselte.
    »Joy« stand da mit roten Buchstaben. Kein Zweifel, das war Meserets Boot. Als es schräg am Kran hing und Gianella den Lichtkegel der Lampe über den silbrigen Rumpf gleiten ließ, sah er das Loch, das jemand mit einem Pickel in das Metall geschlagen hatte. Hier also hatte man Meseret umgebracht und anschließend das Boot versenkt. Mit einem Pickel. Wer nahm schon einen Pickel mit auf See? Sicher kein Fischer. Jemand, der die Tat geplant hatte. Aber wer versenkte ein Boot in einer flachen Lagune? Entweder ein Ignorant oder jemand, der eine Warnung hinterlassen wollte.
    Da wurde Gianella von einem Scheinwerfer geblendet, durch ein Megaphon schallte eine Stimme: »Motor abstellen!«
    Im Lärm der Winde hatte Gianella den Wachmann nicht kommen hören, und im Gegenlicht des Halogenscheinwerfers konnte er ihn nicht sehen.
    »Die Hände aufs Steuerrad!«, schrie der Mann, nachdem Gianella den Motor abgewürgt hatte.
    Der Wächter drehte bei und vertäute sein Boot an Gianellas Kutter.
    »Ich bin Diego, du kennst mich doch, das ist meine Parzelle«, sagte Gianella auf gut Glück, obwohl er den Wachmann noch immer nicht erkannt hatte.
    Dieser stellte den Motor ab und rief: »Was machst du?«
    »Ich habe ein Boot geborgen.«
    »Mitten in der Nacht? Warum nicht bei Tag, da hast du das Recht, in deiner Parzelle zu arbeiten.«
    »Für zwei Stunden. Die zwei Stunden brauche ich aber, um den Grund zu reinigen. Wenn ich die Algen nicht abtrage, ersticken mir die Muscheln.«
    »Die Regeln hast du gemacht.«
    Gianella sah den Wachmann an. Jetzt erkannte er ihn. Es war der Kerl mit den speckigen Wangen und dem Spitzbauch, der erst seit wenigen Monaten Dienst schob. Er kam nicht aus Goro, er war einer der unzähligen Süditaliener, die immer noch in den Norden kamen und Arbeit suchten, obwohl es auch im Norden keine Arbeit mehr gab.
    »Tut mir leid, das muss ich melden«, sagte der Wachmann.
    »Wem willst du das melden?« Sie duzten einander, aber das war in der Lagune nur Konvention. Und da wurde Gianella klar, warum ausgerechnet dieser Mann hier Arbeit gefunden hatte: Er sprach mit demselben Akzent wie Totò De Santis. Er kam aus demselben Dorf, vielleicht derselben Familie.
    »Ich informiere die Genossenschaft.«
    »Es ist meine Genossenschaft.«
    »Du bist abgewählt. Du kannst nicht mehr über die Regeln bestimmen.«
    Gianella bekam Angst. Er sah sich um. Die nächste Plattform mit einem Wachmann war vierhundert Meter entfernt. Irgendwie

Weitere Kostenlose Bücher