Der Tote am Steinkreuz
aber die Augen geöffnet. Sein Gesicht war noch blaß, und um die Mundwinkel zogen sich kleine Schmerzfalten. Doch die dunklen Augen blickten klar und ruhig.
»Fidelma!« begrüßte er sie mit schwacher Stimme. »Ich dachte schon, ich sähe den Morgen nicht mehr.«
Sie kniete an seinem Bett und lächelte beruhigend.
»So leicht solltest du nicht am Leben verzagen, Eadulf.«
»Es war ein harter Kampf«, gestand er. »Ich möchte ihn nicht noch einmal führen.«
»Dignait ist tot«, teilte sie ihm mit.
Eadulf schloß einen Moment die Augen.
»Dignait? War sie schuld an meiner Vergiftung?«
»Anscheinend wußte Dignait, wer die Giftpilze hinzugetan hatte.«
»Wer hat dann Dignait umgebracht?«
»Ich glaube, ich weiß es. Aber vorher muß ich noch die Antworten auf ein paar andere Fragen herausbekommen.«
»Wo hat man Dignait gefunden? Ich dachte, sie wäre aus dem rath verschwunden?«
»In einer unterirdischen Kammer auf Archús Hof.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Zur Mittagsstunde rufe ich alle in der Festhalle zusammen, und dann werde ich den Mörder entlarven.«
Eadulf lächelte grimmig.
»Bis dahin habe ich mich sicher so weit erholt, daß ich auch kommen kann«, verkündete er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du bleibst hier bei Grella, bis du gesund bist.«
Daß Eadulf nicht widersprach, bewies, wie schwach er noch war.
»Willst du damit sagen, daß alle Morde von ein und derselben Person verübt wurden?«
»Ich gehe zumindest davon aus, daß eine einzige Person für alle Morde verantwortlich ist«, antwortete sie ausweichend.
»Wer?«
Fidelma lachte leise.
»Werde gesund, Eadulf. Ich sage es dir, sobald ich meiner Sache sicher bin.«
Sie nahm seine Hand und drückte sie.
Draußen verkostete Gadra gerade eine Kräuterbrühe für Eadulf, die Grella aus der Küche gebracht hatte. In Fidelmas Gegenwart wirkte Grella noch immer befangen, doch Fidelma lächelte ihr ermutigend zu und dankte ihr für alles, was sie getan hatte.
Grella knickste aufgeregt.
»Ich bringe dir jetzt das Frühstück, Schwester.«
Während Fidelma sich wusch, wurde ihr das Essen aufgetragen. Gadra flößte inzwischen dem nicht eben begeisterten Eadulf die Kräuterbrühe ein. Offenbar war er kein einfacher Patient, denn er beschwerte sich immer wieder laut und vernehmlich, daß die Brühe scheußlich schmecke. Fidelma steckte den Kopf in seine Schlafkammer.
»Schäm dich, Eadulf. Wenn du dich nicht erholst, erzähle ich dir nicht, was sich zur Mittagszeit ereignet.«
Gadra blickte stirnrunzelnd auf.
»Was passiert am Mittag?«
»Ich habe Eadulf erklärt, daß sich am Mittag alle, die irgend etwas mit all den seltsamen Ereignissen zu tun haben, in der Festhalle einfinden werden. Das gilt auch für dich und Móen. Ist Móen wohlauf?«
»Es geht ihm viel besser durch all das, was du für ihn getan hast«, erwiderte Gadra. »Er ist ein gescheiter, sensibler junger Mann, Fidelma. Er verdient eine Chance im Leben. Wir werden kommen.«
Eine halbe Stunde später ging sie zur Kapelle Cill Uird und trat ein. Eine Gestalt kniete vor dem Altar und betete.
»Pater Gormán!«
Der Priester fuhr überrascht herum.
»Du hast mich im Gebet gestört, Schwester Fidelma.« Seine Stimme klang verärgert.
»Ich muß dich dringend sprechen.«
Pater Gormán wandte sich erneut zum Altar, bekreuzigte sich und erhob sich langsam aus seiner knienden Haltung.
»Was ist denn, Schwester?« fragte er mürrisch.
»Ich dachte, du solltest wissen, daß Dignait tot ist.«
Der Priester fuhr sichtlich zusammen, schien aber nicht übermäßig überrascht.
»So viele Todesfälle«, seufzte er.
»Zu viele Todesfälle«, erwiderte Fidelma. »Fünf bereits in diesem lieblichen Tal von Araglin.«
Gormán sah sie unsicher an.
»Fünf?« fragte er.
»Ja. Diesem Morden muß ein Ende gesetzt werden. Wir müssen ihm ein Ende bereiten.«
»Wir?« Pater Gormán schien verblüfft.
»Ich meine, du kannst mir dabei helfen.«
»Was soll ich tun?«
»Du warst Muadnats Seelenfreund, nicht wahr?«
»Ich ziehe die römische Bezeichnung vor – sein Beichtvater. Ich bin übrigens der Beichtvater der meisten Menschen hier in Araglin.«
»Nun gut. Wie du deine Rolle auch nennst, ich möchte wissen, ob Muadnat dir jemals etwas von Gold erzählt hat.«
»Verlangst du von mir, das heilige Beichtgeheimnis zu brechen?« donnerte Pater Gormán.
»Das ist ein Geheimnis, das ich nicht anerkenne, aber ich respektiere dein Recht, daran zu glauben. Ich möchte dir
Weitere Kostenlose Bücher