Der Tote am Steinkreuz
Bauernhof war von hier aus zu erreichen, ohne daß man weiter in Richtung auf den rath von Araglin ging. Beide wollten noch ein paar Stunden bleiben und Bressal bei der Reinigung der Herberge und der Reparatur des Reetdaches helfen, während Fidelma und Eadulf nach Araglin weiterritten.
Bressal schlug vor, Fidelma und Eadulf sollten die Waffen behalten, die sie sich von ihm geliehen hatten.
»Wie ihr gesehen habt, kann ich nicht gut mit Waffen umgehen. Ihr meintet, die Banditen seien in Richtung auf Araglin weggeritten, und ihr wollt ihnen doch nicht unbewaffnet unterwegs begegnen.«
Eadulf wollte die Waffen schon annehmen, doch Fidelma gab sie kopfschüttelnd Bressal zurück.
»Wir leben nicht vom Schwert. Bei Matthäus lesen wir, daß Christus zu Petrus sagte, wer das Schwert nehme, der solle durchs Schwert umkommen. Es ist besser, unbewaffnet durch die Welt zu gehen.«
Bressal verzog das Gesicht. »Es ist besser, wenn man durch die Welt geht, daß man sich gegen die verteidigen kann, die vom Schwert leben.«
Erst als sie den Weg nach Araglin ein ganzes Stück entlanggeritten waren, wandte sich Eadulf an Fidelma wegen ihrer stummen Unterbrechung, als er seine Vermutung über die Herkunft der Angreifer äußern wollte.
»Warum sollte ich nicht aussprechen, was doch nur logisch war?«
»Daß die sogenannten Banditen wahrscheinlich aus Araglin selbst kamen?«
»Du hast Muadnat im Verdacht, nicht wahr?« fragte Eadulf.
Fidelma wies diesen Gedanken zurück.
»Ich sehe keinen Grund, ihn zu verdächtigen. Hätten wir diese Vermutung geäußert, hätten wir Archú und Scoth nur unnötig in Furcht versetzt. Es gibt viele andere Möglichkeiten. Bressal muß nicht die Wahrheit sagen, wenn er versichert, er habe keine Feinde. Vielleicht war es auch wirklich ein Angriff unbedachter Banditen. Oder es hat etwas mit dem Tode Ebers zu tun.«
An diese anderen Möglichkeiten hatte Eadulf nicht gedacht, aber er war nicht überzeugt von ihnen.
»Du meinst, daß jemand, der an dem Tode Ebers beteiligt war, versuchen könnte, deine Untersuchung zu verhindern?« fragte er skeptisch.
»Ich bringe das als Alternative zu dem vor, was du vermutest, Eadulf. Ich behaupte nicht, daß es die Lösung ist. Wir müssen wachsam sein, doch Hypothesen ohne Beweiskraft können uns gefährlich in die Irre führen.«
K APITEL 4
Der Vormittag war warm und sonnig, als Fidelma und Eadulf in froher Stimmung durch den dichten Wald ritten und auf einen Bergpfad herauskamen, der einen prächtigen Ausblick auf ein Tal gewährte, das ungefähr eine Meile breit war und von einem silbern glitzernden Fluß durchzogen wurde. Hier und da standen noch Baumgruppen, doch es war klar, daß das Tal seit langer Zeit bewirtschaftet wurde, denn man hatte den Wald bis auf den Streifen um die kahlen Berggipfel herum gerodet, und ein Rain von sich gelb färbendem Ginster trennte das Ackerland und die Weiden von dem Baumbestand.
Das Band des Flusses zerschnitt das Hellgrün der Weiden im Tal. Die Schönheit des Anblicks nahm Fidelma fast den Atem. In der Ferne erblickte sie eine Anzahl rötlichbrauner Punkte, und als sie schärfer hinsah, erkannte sie einen majestätischen Hirsch, der eine Gruppe von Hirschkühen führte, von denen mehrere kleine Kälber bei sich hatten, kleine braune Geschöpfe mit weißen Punkten. An vielen Stellen im Tal verstreut grasten kleine Rinderherden, die sich langsam über die offenen Weiden bewegten, die die von Steinmauern eingefaßten Äcker umgaben. Das Tal schien von verlockendem Reichtum. Es war gutes Ackerland, und nach dem Lauf des Flusses zu urteilen, mußte er von Lachs und Forellen wimmeln.
Eadulf beugte sich im Sattel vor und betrachtete beifällig die Landschaft.
»Dieses Araglin scheint ein Paradies zu sein«, murmelte er.
Fidelma kniff nachdenklich die Lippen zusammen.
»Es gibt aber auch eine Schlange in diesem speziellen Paradies«, erinnerte sie ihn.
»Vielleicht könnte der Reichtum dieses Landes ein Motiv für den Mord bilden? Ein Fürst, der solchen Reichtum besitzt, bietet Angriffsflächen«, vermutete Eadulf.
Fidelma war anderer Meinung.
»Du solltest doch unser System inzwischen gut genug kennen. Wenn ein Fürst stirbt, treten die derbfhine der Familie zusammen. Sie müssen den Tanist, den Nachfolger, als Fürsten bestätigen und einen neuen Tanist ernennen. Nur der gewählte Nachfolger hätte einen Nutzen davon und käme also als erster in Verdacht. Nein, es ist kaum möglich, daß jemand um seines Amtes
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