Der Tote am Steinkreuz
abzudecken.
In den meisten Lebensbereichen griff das Gesetz auf ähnliche Kautionen zurück, um sicherzustellen, daß rechtliche Verpflichtungen eingehalten wurden. Selbst Fidelma mußte wegen ihres Amtes als professionelle Richterin bei dem Oberrichter oder Brehon ihres Bezirks ein Pfand von fünf Unzen Silber hinterlegen für den Fall, daß eines ihrer Urteile angefochten wurde. Denn wenn ein Urteil von ihr durch den Oberrichter verworfen wurde, mußte sie denjenigen Ersatz leisten, die sie durch ihr falsches Urteil geschädigt hatte. Ihre Kaution verfiel nur dann, wenn der Kläger innerhalb einer bestimmten Zeit gegen ihr Urteil Beschwerde einlegte und der Oberrichter ihr Urteil für falsch befand. Wenn ein Richter sich weigerte, diese Kaution zu hinterlegen, wurde er von der weiteren juristischen Tätigkeit ausgeschlossen.
Es war sicher ein Fall von geringer Bedeutung und einer, den Crón angemessen entscheiden konnte. Fidelma wollte sich schon entschuldigen und verabschieden, als ihr plötzlich ein Verdacht kam. Sie wandte sich eilig zurück.
»Ist einer der Beteiligten ein Bauer namens Muadnat?«
Crón starrte sie verblüfft an.
»Kannst du hellsehen, Schwester? Was weißt du von Muadnat?« forschte sie.
Fidelma hatte also richtig vermutet. Crón wußte offensichtlich nicht, daß Fidelma die Richterin in Lios Mhór gewesen war. Zu diesem Zweck also war Muadnat im rath des Fürsten aufgetaucht.
»Wußtest du von Muadnats Prozeß gegen seinen Verwandten Archú?«
Crón schien angestrengt nachzudenken. Sie nickte langsam.
»Ich weiß davon nur durch den Dorfklatsch. Muadnat mußte vor einem Brehon in Lios Mhór erscheinen und verlor einen Hof, auf den er Anspruch erhob.«
»Ich war dieser Brehon«, erklärte Fidelma. »Während ich mich in Lios Mhór aufhielt, erhielt ich den Auftrag meines Bruders, hierher zu reisen.«
Die blauen Augen der Tanist betrachteten sie neugierig.
»Gegen wen erhebt Muadnat die Klage?« erkundigte sich Fidelma.
»Wiederum gegen Archú.«
Fidelma überlegte rasch.
»Kannst du mir die Einzelheiten seiner Beweisführung nennen?«
Einen Augenblick schien es, als wolle Crón sich weigern, doch dann besann sie sich eines Besseren.
»Ich glaube, Archú hat sich für etwas zu verantworten«, sagte sie ausweichend.
»Wofür genau?« drängte sie Fidelma.
»Seit Archú den umstrittenen Hof am Schwarzen Moor in Besitz nahm, ist er Muadnats Nachbar, denn Muadnats Land grenzt an seines. Muadnat behauptet, Archú habe aus bösem Willen und Fahrlässigkeit seine Schweine nachts durch den Grenzzaun gelassen, wo sie Schaden auf Muadnats Grund und Boden anrichteten. Außerdem hätten die Tiere auf Muadnats Hof ihren Kot hinterlassen.«
Fidelma atmete tief ein und aus, während sie die Bedeutung der Angelegenheit erwog.
»Mit anderen Worten, wenn Muadnat diese Ansprüche gegen Archú zu Recht erhebt, wird er einen hohen Schadenersatz von ihm verlangen können?« fragte sie.
Cróns Miene besagte, daß dies offenkundig war.
»Das hat mir Muadnat auch schon erklärt.«
Fidelma fragte spöttisch: »Also hat sich Muadnat bereits rechtskundig gemacht?«
»Was willst du damit andeuten?« erwiderte die junge Tanist.
»Ich treffe nur eine Feststellung und deute gar nichts an. Es stimmt allerdings, daß der Besitzer von Tieren, die durch seinen bösen Willen oder seine Fahrlässigkeit Schaden anrichten, als Verursacher dieses Schadens gilt, daß die Strafe sich verdoppelt, wenn der Schaden in der Nacht entstand, und daß der Schadensersatz sich noch erhöht, wenn die Tiere Kot abgesetzt haben. Mit anderen Worten, Archú würde einen erheblichen Betrag als Schadensersatz an Muadnat zu zahlen haben.«
Crón stimmte zu.
»Wahrscheinlich den halben Wert seines Hofes oder noch mehr«, sagte sie. »Wenn er nicht über Viehbestände verfügt, die über den Wert des Hofes hinausgehen, wird er zweifellos den Hof verlieren.«
»Wir wissen beide, daß er nicht mehr besitzt«, antwortete Fidelma knapp. »Muadnat wird sich nicht mit weniger als dem ganzen Hof zufriedengeben.«
»Ich glaube, so lautet das Gesetz.«
Fidelma überlegte sorgfältig ihre Worte, bevor sie sie aussprach.
»Als erwählte Fürstin hast du das Recht und die Verantwortung, in deinem Stammesgebiet Recht zu sprechen, und du kannst das allein tun, wenn kein Brehon zur Verfügung steht.«
»Ich kenne meine Rechte und Pflichten.« Cróns Augen verengten sich mißtrauisch.
»Ich will dir nicht zu nahe treten, wenn ich dich
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