Der Tote am Steinkreuz
denn dunkle Geheimnisse brüten Verdacht und Beschuldigungen aus.«
»Teafa haßte meinen Vater auch.«
»Warum?«
»Mein Vater mißbrauchte seine Schwestern.«
Fidelma hatte eine solche Antwort erwartet nach dem, was sie von Pater Gormán erfahren hatte.
»Hat er sie körperlich mißbraucht?« fragte sie sicherheitshalber.
Crón rümpfte die Nase. »Wenn du mit körperlich mißbrauchen meinst, daß er sie zwang, mit ihm zu schlafen – ja.«
»Hat Teafa dir das gesagt?« forschte Fidelma.
»Vor ein paar Jahren«, gestand sie. »So, jetzt habe ich dir verraten, weshalb ich meinen Vater haßte. Aber ich haßte ihn nicht so sehr, daß ich ihn töten würde. Anscheinend bist du der Aufklärung des Mordes an meinem Vater und Teafa noch keinen Schritt nähergekommen.«
»Doch, das bin ich«, lächelte Fidelma. »Was du mir berichtet hast, bedeutet …«
»Störe ich euch?« Eine weiche männliche Stimme unterbrach Fidelma, als sie sich gerade vertraulich vorbeugen wollte.
Pater Gormán stand auf der Schwelle.
Fidelma fing Cróns warnenden Blick auf, der ihr sagte, sie solle das Thema nicht weiter verfolgen. Sie unterdrückte einen ärgerlichen Seufzer und stand auf.
»Ich wollte sowieso gerade gehen. Ich habe einen langen, anstrengenden Tag hinter mir. Wir reden morgen weiter, Crón, wenn ich mich ausgeruht habe.«
Das Frühstück war schon ins Gästehaus gebracht worden, als Fidelma aus dem Waschraum hereinkam. Eadulf saß am Tisch und ließ es sich schmecken. Fidelma setzte sich, sprach ein stilles Gratias und besah sich ihren Teller mit Brot, kaltem Fleisch und verschiedenen Beilagen. Sie nahm das Messer zur Hand.
Eadulf meinte: »Wir müssen heute so schnell wie möglich wieder zum Bergwerk mit allen Männern, die Dubán entbehren kann. Vielleicht können wir dann sämtliche Rätsel lösen?«
Fidelma hing ihren eigenen Gedanken nach und war nur halb bei der Sache. Doch irgend etwas lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Pilze, die auf dem Tisch standen. In ihrem Hinterkopf schrillte eine Alarmglocke. Die Pilze hatten eine helle gelbbraune Haut mit zellenartigen Gruben auf dem ganzen Hut. Sie hatte oft miotóg bhuí gegessen, Pilze, die im Frühjahr in den Laubwäldern wuchsen. Meist aber kamen sie gekocht auf den Tisch, denn roh hatten sie einen scharfen Geschmack. Gekocht galten sie als Delikatesse. Warum hatte man sie ihnen roh serviert?
Plötzlich lief es ihr eiskalt den Rücken herunter, und sie erzitterte, als sie sich die Pilze genauer ansah. Erst hatte sie gedacht, die gelblichen Pilze seien bloß vom Alter dunkel geworden, doch jetzt wurde ihr klar, daß das nicht stimmte. Sie waren braun. Erschrocken sah sie, wie Eadulf ein Stück Pilz in den Mund stecken wollte, und schlug es ihm aus der Hand.
Er fuhr überrascht zurück und verschluckte einen Ausruf.
»Wieviel davon hast du gegessen?« wollte sie wissen.
Er starrte sie verständnislos an.
»Wieviel?« fuhr sie ihn an.
»Das meiste von dem, was ich auf dem Teller hatte«, gestand Eadulf verwirrt ein. »Was ist verkehrt daran? Ich weiß, was das für Pilze sind, wir haben zu Hause auch solche. Sie heißen Morcheln.«
» Dia ár sábháil! «rief Fidelma und sprang auf. »Es sind Lorcheln.«
Eadulf wurde bleich.
Die Lorchel, die der eßbaren Morchel so ähnlich sah, war, roh gegessen, tödlich giftig.
»Gott schütze uns, nun aber wirklich.« Eadulf war entsetzt.
Fidelma reagierte sofort.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen dir den Magen entleeren, dich zum Erbrechen bringen. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Eadulf nickte. Er hatte an der berühmten medizinischen Hochschule Tuaim Brecain studiert und wußte sehr wohl, wie giftige Pilze wirkten.
Er stand auf und strebte dem fialtech, dem Schleierhaus oder Abort, zu und vergaß in seiner Eile sogar, sich zu bekreuzigen, bevor er es betrat, um die Listen des Teufels abzuwehren, der an solchen Orten besonders aktiv war.
»Trink so viel Wasser, wie du irgend kannst«, rief ihm Fidelma nach.
Er gab keine Antwort.
Fidelma betrachtete die Teller.
Es gab keinen Zweifel. Jemand hatte versucht, sie beide zu vergiften. Warum? Waren sie der Aufklärung der Morde in Araglin so nahe, daß sie beseitigt werden mußten? Zornig nahm sie die Teller mit Essen und warf sie zur Tür des Gästehauses hinaus. Auch die Becher mit Met goß sie aus.
Sie hörte, wie Eadulf im fialtech würgte.
Sie biß die Zähne zusammen und eilte in die Küche auf der Suche nach Grella, die ihnen
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