Der Tote im Eiskeller
Schwatzen ist keine Zeit. Beeil dich, wenn Dücker dich nicht bald bei den Beeten sieht, bekommen wir Ärger. Er ist flink dabei, den Lohn zu kürzen.»
Bald fand Rosina, es sei eine Schnapsidee gewesen, sich als Gartenarbeiterin zu verdingen. Ihr Rücken und ihre Knie schmerzten, ihre Hände und Arme, sogar ihr Gesicht waren von Brombeerranken zerkratzt, ihre Haare zerzaust, und die Fingernägel, die ganzen Hände so schwarz, dass sie hoffte, der Ratsschreiber werde nicht doch plötzlich dieSpielerlaubnis geben. Selbst nach gründlichem Bürsten mit Sand und Seife konnte sie sich mit diesen Händen und Nägeln nur mit Handschuhen auf die Bühne wagen.
Hanne, die in diesem Garten eine sonderbare Stellung zu haben schien, ließ sie zuerst das Laub, das in den letzten Nächten in großen Mengen von den Bäumen gefallen war, auf den Wegen und Rasenstücken zusammenharken. Rosina war erleichtert, das konnte wirklich jede.
Das Aufbinden der Brombeeren war schon schwieriger. Die Ranken gebärdeten sich widerspenstig und setzten ihre Dornen als heimtückische Waffen ein.
«Sei froh», sagte Hanne nur, als sie Rosinas Kämpfe bemerkte, «sie sind schon geschnitten. Vor zwei Wochen hättest du gegen sie verloren.»
Dann schickte sie ihre Helferin mit zwei Holzeimern zu dem hinter jungen Salweiden halb verborgenen Anleger an der Alster, um Wasser für den Vorratstrog beim ersten Glashaus zu schöpfen. Es war ein großer Trog, ihn zu füllen erforderte viele Wege hin und her.
Immerhin führte der Weg direkt am Aufseherhaus vorbei, Rosina nutzte einen unbeobachteten Moment, um durch das Fenster zu sehen und zu lauschen. Sie sah Aufseher Dücker an einem Tisch sitzen und schreiben, sah ihn aufstehen und zu einem der Samenschränke gehen, Schubladen aufziehen und wieder zuschieben – nichts, was ihr bemerkenswert erschien. Elias Malthus konnte sie nirgends entdecken, er schien an diesem Vormittag nicht hier zu sein.
Sie hätte Hanne gerne nach ihm gefragt, aber gehörte sich das für eine neue Tagelöhnerin?
Als der Trog endlich voll und ihre Röcke durchnässt waren, sehnte sie sich nach einer Pause. Es musste längst Mittag sein. Sie machte sich auf die Suche nach Hanne undfand sie endlich in dem der Alster zugewandten hinteren Teil des Gartens. Sie stand, den Kopf in den Nacken gelegt, einige Schritte entfernt vor einer etwa vierzig Fuß hohen Fichte und machte ein besorgtes Gesicht. In der Krone bewegte sich etwas, die ganze Spitze des Baumes schwankte, als aus dem Grün eine hakenbewehrte Stange hervorstieß und einen der reich mit Zapfen behängten Zweige näher zur Mitte zog.
«Pass auf», rief Hanne und hob abwehrend die Hände, «der Zweig ist schon so groß und fest, wenn er zurückschlägt …»
«Ich mach das doch nicht zum ersten Mal», antwortete eine angestrengte Männerstimme mit einem Anflug von Ungeduld von der Höhe herunter, «das Seil ist gut, das hält. Und die Aussicht – wenn’s nicht so diesig wäre, könnte ich die Kirchturmspitze von Eppendorf sehen.»
Rosina war zu verblüfft und neugierig, um ihre Rolle als stille Beobachterin weiter zu spielen. Sie trat hinter dem Busch hervor, dessen Namen sie so wenig kannte wie seine feuerroten, fingerschmalen Blätter, stellte sich neben Hanne und blinzelte mit ihr gegen die Sonne zur Spitze des Baumes hinauf.
«Was passiert da oben?», fragte sie.
«Das siehst du doch, die Zapfen werden geerntet. Meistens schon im späten August, nach dem kalten Sommer in diesem Jahr ist alles noch später. Man muss sie zur richtigen Zeit holen, wenn sie erst reif und weit geöffnet sind, fallen die Samen heraus.»
Nun konnte Rosina beweisen, dass sie zumindest ein kleines bisschen von Bäumen wusste. «Der Gärtner …», sie konnte gerade noch ‹meines Vaters› verschlucken, «der letzte Gärtner, bei dem ich gearbeitet habe, hat immer die ganz jungen Bäumchen in den Wäldern ausgegraben.Warum erntet ihr den Samen? Es sieht umständlich und gefährlich aus.»
«Es
ist
gefährlich.» Immer noch war ihr Blick starr auf die Baumkrone gerichtet. «Das lässt Monsieur Malthus natürlich auch machen, aber es gibt hier kaum Fichten, in diesem Garten auch nur die eine. Die hat sein Vater gepflanzt, als er selbst noch jung war. Zum Verkauf gibt es einige Reihen in den Pflanzschulen vor dem Stein- und dem Dammtor. Aber der Samen übersteht lange Reisen leichter. Monsieur Malthus», fügte sie hinzu und löste endlich den Blick von der Höhe, um Rosina stolz
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