Der Tote im Eiskeller
anderen Seite von der Frauenhand bedroht sah, stach sofort zu. Jammernd und an ihrer schon geröteten Hand saugend, rannte Kath zum kühlenden Wasser der Alster.
Alle sahen ihr nach, keine unterbrach ihre Mahlzeit. Rosina verschlang heißhungrig eine Birne, sie wischte sich den süßen Saft vom Kinn und sah Hanne an.
«Nimm noch eine», sagte die, «heut sind genug da.»
Rosina wählte mit Bedacht eine der kleinsten. «Der Mann in der Fichte», begann sie vorsichtig, «ist der einer der Gärtner? Das kann sicher nicht jeder, das Zapfenernten.»
Hanne biss in ihr Brot, die Augen fest auf den Goldregenbusch hinter Rosinas Rücken geheftet.
Es war wieder die Frau mit den Karotten, die antwortete: «Das ist doch Rutger. Der ist kein Gärtner, der ist Seemann. Die auf See verstehen sich alle aufs Klettern wie die Eichhörnchen, die müssen bei jedem Wetter auf die Masten, schwindelig wird denen nicht. Dagegen ist so ’ne Fichte ’n Klacks. Aber Rutger hat schon früher hier ausgeholfen. Als er noch ’n Junge war ohne das kleinste Härchen am Kinn. Stimmt doch, Hanne, oder? Da haben wir auch schon hier gearbeitet, du und ich.»
Hannes Blick streifte flüchtig Rosinas, bevor sie sagte: «Ja, das stimmt. Er weiß genau, was zu tun ist. Und Monsieur Malthus weiß, dass er sich auf ihn verlassen kann. Er hätte gerne einen richtigen Gärtner aus ihm gemacht, für die Baumschulen. Das ist eine ganz andere Arbeit als in den Gärten. Und jetzt», sie hob den Finger und lauschte auf den dünnen Klang der Glocke des Türmchens auf dem Gänsemarkt, «jetzt ist genug ausgeruht.»
Jede ließ noch eine Birne in die Tasche gleiten, bevor Hanne die restlichen Früchte einsammelte und ins Gewächshaus brachte. Auch Kath tauchte wieder auf, die Hand war gerötet und geschwollen, die zweite Birne, die Hanne ihr entgegenhielt, nahm sie trotzdem.
Am Nachmittag schickte Hanne Rosina zu den Beeten, die bald neue Zwiebeln von Tulpen und Narzissen aufnehmensollten. Sie hatte längst gemerkt, dass Rosina von der Gartenarbeit kaum mehr verstand als ein Philosoph vom Schustern. Es sei einfach, hatte sie erklärt, die Erde sei weich und müsse nur von Laub und Unkraut befreit werden.
Rosina blickte stolz auf die befreite Erde des ersten Beetes, als sie eine vertraute Stimme hörte.
«Könntet Ihr es nicht doch versuchen, Monsieur Malthus? In Südengland habe ich ein prächtiges Exemplar gesehen, ich möchte unbedingt eine haben. Wenn sie in meinem Garten nicht wächst, trage ich ganz allein die Schuld.»
Die Antwort folgte zögernd. «Nein, Madame, das möchte ich nicht. Die Libanonzeder ist ein stolzer Baum von großer Schönheit. In Südengland ist sie an das Klima angepasst, unseres ist rauer, ein solcher Baum würde mit Glück einige Jahre überstehen, doch schon der erste harte Winter – nein, Madame. Ich bemühe mich stets, Pflanzen und insbesondere Bäume als das zu behandeln, was sie sind: als Lebewesen. Wenn sie auch keine Seele haben, ist es doch nicht recht, sie von vornherein vergeblichen Versuchen auszusetzen. Das versteht Ihr sicher.»
Rosina sah sich mit geducktem Kopf um, sah Anne Herrmanns unwillig nicken und beugte sich tief über das Beet.
«Habt ein wenig Geduld, Madame», fuhr Elias Malthus fort, «von meinem englischen Handelspartner habe ich kürzlich Nachricht bekommen, er erwarte Samen von Zedern aus den ostindischen Gebirgen. Er schreibt, dieser Baum gleiche der Libanonzeder, er sei nur robuster und noch edler und wachse mächtiger, in seiner Heimat 150 Fuß hoch. Das wird er in unseren Breiten kaum erreichen, aber so eine ostindische Zeder kann die stolze Zierde jeden Gartens und Parks sein.»
«Ein wenig Geduld, sagt Ihr? Wenn ich das aus EurerGärtnersprache in meine übersetze, heißt das in diesem Fall mindestens zehn bis zwanzig Jahre.»
«Ja, Madame», Malthus’ Stimme klang, als lächele er, «da habt Ihr richtig übersetzt. So lange mag es dauern. Aber nicht unbedingt. Bei manchen Gewächsen zeigt sich schneller, ob sie bei uns gedeihen. Die Erfahrung Eurer Landsleute im Akklimatisieren exotischer Pflanzen ist groß. Trotzdem braucht alles seine Zeit. Den rot blühenden Seidelbast kann ich Euch schon für diesen Herbst versprechen, er wird neben Eurem weißen ein eleganter Kontrast sein. Nun, Mademoiselle Lehnert? Gefällt Euch mein Garten?»
Noch einmal wagte Rosina den Blick über die Schulter. Fenna Lehnert kam, einen zierlichen Sonnenschirm in der einen, den gerafften grauen Seidenrock in
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