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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nachempfundene Leichtigkeit nach der neuen englischen Mode. Manche nannten es fälschlich schlicht Unordnung.
    Als sie bei den Glashäusern ankam, hatte sie das Prinzip dieses Gartens verstanden: Er war genau das, als was sie ihn empfunden hatte. Hier wurden Blumen – darunter viele verschiedene Stauden, Rosenstöcke und Zierbüsche gezogen, auch einige Obstbäume und Beerenhecken, deren Beete und Reihen so geschickt zwischen kleinen Rasenstücken und altem Baum- und Buschbestand angeordnet waren, dass das Ganze den Eindruck eines reichen, seit vielen Jahren sachverständig und liebevoll gepflegten Lustgartens bot. Genau wie die Kunden, die sich beraten lassen und ihre Pflanzen, Samen oder Stecklinge bestellen wollten, sich ihren für die Zukunft vorstellten. Eine Kombination von Ertrag und Erbauung für Körper und Seele. Der Malthus’sche Garten war letztlich so etwas, was Rosina im vergangenen Jahr zum ersten Mal bei den Londoner Läden gesehen hatte: ein Schaufenster. Nur unendlich viel größer, unter freiem Himmel und ohne die schützenden Glasscheiben. Bis auf die Ausstellung der gegen das nördliche Wetter empfindlichen Gewächse in den Glashäusern natürlich.
    Die einzige Frau in deren Nähe hockte auf einer umgestülpten Zuckerkiste, ihren Kopf mit dem feinen lichtblonden Haar über einen mit rot glänzenden Hagebutten gefüllten Korb in ihrem Schoß gebeugt. Sie hörte die fremden Schritte erst, als Rosina schon fast vor ihr stand.
    Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Eine stämmige Arbeiterin vielleicht, deren Jahre für lange Erfahrung und deren harte Hände und grobes Gesicht für harte und grobeArbeit bei Wetter und Wind standen. Die junge Frau, die mit einem kaum merklichen Lächeln aufsah, das noch von ihren Gedanken übrig geblieben schien, war von allem das Gegenteil. Bis auf die Hände vielleicht, die zeugten von schwerer Arbeit mit Schmutz, Erde und widerspenstigen Gewächsen.
    Hanne war überschlank, ihr Gesicht trotz der leichten Sonnenbräune von zarter Blässe, die umschatteten grauen Augen verbargen kaum eine hinter der Aufmerksamkeit lauernde Müdigkeit, die auf den Rand des Korbs gestützten Handgelenke wirkten zerbrechlich. Ihre Kleider verströmten einen süßlich-muffigen Geruch, wo immer sie wohnte, gab es wenig frische Luft und noch weniger reines Wasser.
    «Ach», sagte sie, und das Lächeln verschwand, «kommst du doch noch? Du bist doch Emme?»
    Rosina schluckte. Nun wurde es brenzlig. Aber was sollte ihr geschehen? Sie konnte immer noch sagen, alles sei ein Scherz gewesen, sie wolle nichts als Ritterspornsamen kaufen.
    «Ja», sagte sie, «das heißt: nein. Ich bin Rosa. Emme – ja, Emme ist krank. Ich komme an ihrer Stelle, deshalb bin ich so spät gekommen. Bitte, sag dem Aufseher nichts. Er wusste Emmes Namen nicht, ihm ist wohl gleich, ob ich Emme oder Rosa bin. Aber er hat doch misstrauisch geguckt, und ich», wieder schluckte sie, «ich brauche den Lohn. Emme bekommt ein Viertel ab», versicherte sie rasch, «weil ich heute ihren Platz haben darf. Und morgen, ich glaube nicht, dass sie morgen schon kommen kann.» Das war prächtig gelogen und gleich für den nächsten Tag vorgebaut, falls einer nicht reichen sollte. «Kennst du sie?»
    «Hätte ich dann gefragt, ob du Emme bist? Mir ist esauch gleich, die Hauptsache, die Arbeit wird getan. Was kannst du? Ach», sie bewegte wegwerfend die linke Hand, «was du heute tun musst, kann jede. Was sind das für Schuhe?»
    Rosina nickte betrübt. «Es sind die einzigen, die ich noch habe, meine Holzschuhe sind – ja, gestohlen. Der Aufseher hat gesagt, im Geräteschuppen steht ein altes Paar, das mir passt.»
    «Manchmal ist Dücker nett, aber verlass dich nicht drauf. Frag heute Abend bei dem Altkleiderhändler im Krayenkamp, der hat oft gebrauchte Schuhe, die noch nicht so abgelaufen sind, dass sie beim ersten Stoß gegen einen Stein oder Spaten brechen. Nun hol dir die Pantinen, der Schuppen ist hinter dem dritten Glashaus. Wenn du zurückkommst, zeige ich dir deine Arbeit.»
    «Was machst du mit den Hagebutten?»
    Hanne hatte ihre Hände schon wieder in die prallen Früchte der Rosen getaucht, sie ließ sie sinken und sah Rosina irritiert an. «Sortieren, was sonst? Die guten für den Samen, die nicht so guten gleich fürs Mus. Was macht ihr mit Hagebutten? Da, wo du herkommst? Wo kommst du überhaupt her?»
    Sie bemerkte Rosinas Zögern, die nach innen gezogenen Lippen, und winkte gleichgültig ab. «Lass nur, zum

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