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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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war, zum Optiker begleiten konnte, der die neue Linse für die Laterna magica für heute versprochen hatte. Helena, Jean und Titus kannten die Wahrheit. Sie verkniffen sich ihre Fragen, sobald es Konkretes zu berichten gab, würden sie es erfahren. Oder wenn Rosina, wie schon einige Male, die Unterstützung ihrer vielfältigen Talente brauchte.
    An diesem Morgen gehörte sie zu den Ersten, die kurz nach Sonnenaufgang durch die schmiedeeiserne Pforte des Gartens traten. Bevor sie wie die anderen zum Aufseherhaus ging, um ihre Anweisungen für diesen Tag zu hören, sah sie sich noch einmal um. Sie war sicher gewesen, Wagner werde irgendwo in der Nähe des Eingangs auf den Grönlandfahrer warten, in einem der Hauseingänge vielleicht oder auf dem Platz, den Kopf vermeintlich über die Obst- und Gemüsekörbe der Bäuerinnen gebeugt. Aber von Wagner war weit und breit nichts zu sehen.
    Auch an diesem Morgen war Elias Malthus gegen seine Gewohnheit nicht unter den Ersten im Garten. Natürlich nicht, denn der Herr, erinnerte der Aufseher, begrabe heute seinen Bruder. Deshalb habe er mit der ihm eigenen Weitherzigkeit geboten, in den Malthus’schen Gärten heute nur bis um drei Uhr arbeiten zu lassen. Er hoffe, allewürden die freien Stunden nutzen, um während der Zeit des Trauerzuges in ihrer Kirche Gebete für den Toten zu sprechen und eine Kerze anzuzünden. Bei so frühem Feierabend, fügte der Aufseher hinzu, falle die Pause aus, das verstehe sich von selbst.
    Rosina sah sich unter den Frauen und Kindern um, auch einige zumeist alte Männer waren heute darunter, Hanne und Rutger Ermkendorf jedoch fehlten. Alle gingen an ihre Arbeit, Rosina wurde mit der dicken Kath zum vorderen Teil des Gartens geschickt, um die Staudenbeete vom Unkraut zu befreien. Sie atmete auf, dort war die Gefahr, das Falsche aus dem Boden zu ziehen, gering. Kaths Hand war vom Stich der Wespe geschwollen, aber sie war wohl Schlimmeres gewöhnt und verlor kein Wort darüber. Sie schien sich an die Neue gewöhnt zu haben und ihr nicht mehr zu misstrauen.
    «Weitherzigkeit», äffte sie die Stimme des Aufsehers nach, «Weitherzigkeit. Der hat leicht reden. Der bekommt seinen Lohn jede Woche, immer den gleichen und nicht zu knapp, wir jeden Tag, und glaub bloß nich, du kriegst heute Lohn für den ganzen Tag. Der feine Monsieur Weitherzig kann rechnen, der zahlt uns heute nur bis um drei. Und dann noch ’ne Kerze! Wer soll die bezahlen? Weniger Lohn und noch ’ne Kerze kaufen. Das nenn ich weitherzig. Was kümmert mich ein toter Oberleutnant? Und wenn er zehnmal der Bruder vom Herrn is. Mich kümmert, wovon ich meine Kinder und meinen lahmen Vater füttern soll.»
    Kath gab sich keine Mühe, leise zu sprechen. Der Aufseher war in das Haus am Ufer verschwunden und die anderen teilten ihrer Meinung.
    «Wo ist Hanne?», fragte Rosina und versuchte durch eine Ritterspornstaude Kaths Gesicht zu erkennen, doch hinter den noch dicht mit blauen Blüten besetzten Stängeln sahsie nur den gebeugten Kopf unter verwaschenem grauem Tuch und zornig am Unkraut reißende Hände.
    «Was weiß ich», grummelte Kath. «Sicher hat sie heute wieder einen schlechten Tag. Die Hanne», sie richtete sich auf und strich sich mit dem Handrücken über ihre schon schweißnasse Stirn, «die is oft krank. Es sagt keiner, aber Hanne hat die Auszehrung. Seit letzten Winter hat sie schon diesen Husten, mindestens seit letzten Winter. Der geht nich mehr weg, der wird schlimmer. Und so spindeldürr, wie die is, und das Dunkle um die Augen – wenn das nich die Auszehrung is.»
    Sie beugte sich wieder über das Beet, brach einen trockenen Zweig über der Wurzel der Staude und warf ihn hinter sich auf den Weg. «Die war so ’n hübsches Mädchen. Das is nich gerecht, nach allem, was sie durchgemacht hat, und keine Familie, nur diese Madame Tante. Hanne hat hier nur noch Arbeit, weil der Herr so gutherzig is, andere geben einem keine Arbeit mehr, wenn man nich jeden Tag pünktlich vorm Tor steht. Da stehen ja genug andere, die nur drauf warten. Und so gute Arbeit find’st du so schnell nich wieder. Ich hab Jahre in ’ner Gerberei geschuftet, ich sag dir: Bevor ich da wieder hingeh, sterb ich lieber.»
    Während Rosina das Unkraut vergaß und überlegte, wie sich Elias Malthus’ angebliche Gutherzigkeit mit der zuvor beklagten Knauserigkeit vertrug, sprach Kath, die flinken Hände wieder im Unkraut, schon weiter. Hanne, erklärte sie mit einem Anflug von Respekt in der Stimme, sei

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