Der Tote im Eiskeller
dreimal gesagt. Du hattest einegute Stellung, so eine hättest du nie wieder gefunden. Ich wollte nicht, dass du sie aufgibst. Du hattest dein Leben und ich meins. Aber dann … ich wusste ja nicht, dass Rutger so früh zurückkommt. Plötzlich war er wieder da, schon einige Tage vor Maline. Und half mir auch.»
«Ja», sagte Maline leise, «viel besser, als ich es konnte. Und nun trink deinen Tee, Hanne. Es tut mir Leid, Anders, die Köchin war da, sie hat mir zwar das Licht geschenkt, aber sie hat mich keine Sekunde allein gelassen. Ich konnte kein Eis aus dem Kellerloch holen.»
«Das solltest du auch nicht», sagte Anders, «Rutger hat Recht, den Ärger bekommt nur Hanne. Es ist der Madame egal, ob du’s bezahlst, sie will es einfach nicht. Wir gehen jetzt zum Fleet, der Sommer ist fast vorbei, da ist das Wasser schon kühl. Was ist da draußen los?»
«Eine ganz Kompanie Kundschaft für Madame», murmelte Rutger.
Er öffnete die Tür und trat in den Hof. Die festen Tritte bedeuteten keine Kundschaft für Madame. Wagner, Grabbe und vier Soldaten mit den Gewehren im Anschlag marschierten auf den Schuppen zu.
«Ermkendorf», rief Wagner, er hob die Hand und seine Begleiter blieben wie ein Mann hinter ihm stehen. «Du bist Rutger Ermkendorf. Du wirst arretiert. Wegen Mordes an Viktor Malthus.»
«Fällt Euch nichts Klügeres ein?» Rutger Ermkendorf sah Wagner, Grabbe und den hinter ihnen aufgereihten Soldaten mit amüsiertem Staunen entgegen. «Ihr bringt eine halbe Kompanie in diese düstere Gegend, um einem Grönlandfahrer einen Mord anzuhängen, für den er keinen Grund hatte?»
«Grund genug», rief Wagner, «Grund genug. Grabbe», befahl er, «die Handfesseln.»
«Nein!!», schrie es plötzlich schrill über den Hof. «Nein, er war es nicht. Er nicht.»
«Sei still, Hanne, sag nichts.» Rutger fing die heranstürmende Hanne mit beiden Armen auf. «So sei doch still. Ich war …»
Doch Hanne ließ sich nicht zurückhalten. «Er war es nicht. Ich war es. Ich habe ihn in den Keller gelockt, ich ganz allein. Ich habe die Tür zugemacht. Ich habe ihn erfrieren lassen. Er war ein Schwein, ein Mörder, er hat alles zerstört …»
Ihre Stimme erstarb in einem schluchzenden Husten, und Rutger fing sie auf wie ein strauchelndes Kind, hob sie in seine Arme, hielt sie fest und murmelte: «Sei still, du dummes Kind, sei still. Sei doch endlich still.»
KAPITEL 12
«Wenn ihr schon nichts essen wollt», flüsterte Helena, «trinkt wenigstens die Schokolade.»
Sie stand in der Tür zu Malines und Rosinas Stube und hielt ein Tablett mit zwei dampfenden Bechern.
«Danke», sagte Rosina, «du bist ein Schatz. Woher hast du nur die Schokolade?»
«Ein Schatz hortet geheime Schätze. Sie war eigentlich für Jeans Geburtstag gedacht, aber bis dahin fällt mir schon etwas anderes ein. Sie soll trinken, solange die Schokolade heiß ist. Sie ist mit guter Milch, nichts von dem wässerigen Zeug, das die Krögerin uns sonst gibt. Wenn du etwas brauchst, ruf mich. Wir sind alle da.»
Im Kröger’schen Haus herrschte an diesem Abend eine ungewohnte Stille. Als es dunkel wurde und Rosina und Maline noch nicht zurückgekehrt waren, hatte Helena begonnen, sich zu sorgen. Beruhigend fand sie einzig, dass noch beide unterwegs waren. Wäre Rosina alleine ausgeblieben, hätte es womöglich echten Anlass zur Sorge gegeben. Auf ihr Versprechen, sich nicht mehr alleine brenzligen Situationen auszusetzen, gab Helena keinen Pfifferling. Rosina war weder leichtfertig noch unzuverlässig, aber ihr Talent, die Nähe einer Gefahr zu spät zu bemerken oder sich einzugestehen, dass es brenzlig wurde, war Helena nur zu vertraut.
Endlich kamen beide. Maline lief gleich die Treppe hinauf, und was Rosina den anderen berichtete, die einen der letzten milden Abende dieses Herbstes an dem Tisch im Hof genossen, war dazu angetan, den üblichen fröhlichen Lärm verstummen zu lassen.
Sie kannten weder Hanne noch Rutger Ermkendorf, den Bauern aus der Marsch oder gar die Malthus’. Aber Hannes Geschichte und Malines Kummer ließ alle erschreckt schweigen.
Als Hanne aus ihrem Schuppen gerannt kam und schrie, sie habe Viktor Malthus in den Eiskeller gesperrt, sie ganz allein, als sie Rutgers Behauptung, sie habe ihn doch gewiss nicht töten, sondern nur erschrecken wollen, wütend wegwischte, stand Maline im schwindenden Licht des Tages im Hof. Stumm und im Gesicht jene unheilbare Trauer, die nur das Wissen um die Vergeblichkeit aller
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