Der Tote im Eiskeller
Maline.
«Morgen», unterbrach sie Anders entschieden. «Es ist nicht wegen der Bezahlung. Er hat kein Geld genommen.»
«Und wenn er jetzt welches nimmt, dann von mir», bestimmte Rutger. «Morgen, Anders? Versprochen?»
Anders war auf dem Nachbarhof auf Spadenland aufgewachsen, Rutger Ermkendorf kannte den um ein JahrzehntJüngeren seit seiner Geburt. Für ihn war Anders wie ein kleiner Bruder, auf alle Fälle jemand, um den man sich nun kümmern musste. Der Wundarzt hatte getan, was möglich war und gute Arbeit geleistet, die Wunde heilte langsam, aber besser, als sie alle geglaubt hatten. Vor etwa zwei Wochen aber hatte sie wieder zu schmerzen begonnen, der Stumpf schwoll an, rötete sich und wurde heiß. Mal wurde es wieder besser, mal wieder schlechter. Es war nicht nötig, den Frauen zu erklären, dass Anders sich davor fürchtete, wieder der Säge zu begegnen und noch ein Stück seines Armes zu verlieren.
Maline nahm einen Topf von dem Wandbrett und fischte eine tote Fliege heraus. «Ich hole Wasser für den Tee. Vielleicht kann ich doch ein bisschen Eis stibitzen, Anders, die Kälte hat gestern doch gut getan.»
«Tu’s nicht», sagte Rutger. «Wenn sie dich erwischt, bekommt Hanne Ärger. Wir holen nachher Wasser aus dem Fleet, das kühlt die Hitze in der Wunde auch.»
Obwohl Rosina sich brennend für den Mann mit dem amputierten Arm interessieren sollte, der mit ziemlicher Sicherheit genau der war, den Wagner so dringend suchte, waren ihre Gedanken noch bei den Sätzen, mit denen sich Madame Regina verabschiedet hatte. Viktor Malthus war also ein guter Kunde in deren Haus gewesen. Und Hanne hatte ihn gekannt, gut genug, um den Oberleutnant ‹besonders gern› zu haben. Und froh über seinen Tod zu sein?
Sie sah Hannes erschöpftes Gesicht, das jämmerliche Lager, diese ganze jämmerliche Hütte, und hätte lieber geschwiegen. Einfach weggehen, still die Brettertür schließen und alles vergessen, was sie gesehen und gehört hatte? Das konnte sie nun nicht mehr. Vielleicht kannten Hanne und Viktor einander nur aus der Zeit,bevor er damals davongelaufen war. Aber das war so viele Jahre her, es schien ihr unwahrscheinlich, dass Hanne damals schon in der Stadt gelebt hatte. Und Madame Reginas maliziöser Ton hatte nicht geklungen, als habe es sich um eine so lange zurückliegende Bekanntschaft gehandelt.
«Du kanntest Viktor Malthus, Hanne?», fragte sie behutsam, als Maline gegangen war. «Woher? Von Besuchen im Garten seines Bruders?»
«Was kümmert dich das?», fuhr Rutger Ermkendorf sie an. «Musst du deine Nase in alles stecken? Wieso bist du überhaupt noch hier? Du kennst jetzt den Weg.»
«Lass nur, Rutger.» Hanne wischte sich mit dem Handrücken die Mundecken aus, sie sah die rötlichen Flecken und ließ sich zurückfallen. «Es ist nicht besser», murmelte sie, «überhaupt nicht besser. Zieh den Schemel heran, und setz dich zu mir, Rosina. Du wirst Maline doch danach fragen, ich erzähle dir lieber selbst, wieso ich den Oberleutnant kenne. Wieso ich ihn
kannte
. Er ist ja tot. Der Herr möge mir vergeben, da ist ein gutes Werk geschehen.»
«Sei still, Hanne», Ermkendorf beugte sich zu ihr hinunter, «sei still, ich bitte dich. Du kennst sie nicht, und ich habe gehört, dass sie den Weddemeister besser kennt, als solchen wie uns lieb sein kann.»
«Warum soll ich nicht von Wille erzählen? Ich erzähl gern von ihm. Es ist kein Geheimnis, Rutger. Warum gehst du nicht zum Fleet und holst Wasser für Anders’ Arm? Bei den Ziegen steht ein Eimer, nimm ihn und geh zum Fleet.»
Das wollte er nicht. Er lehnte sich gegen die Bretterwand, verschränkte die Arme vor der Brust und hörte zu.
«Der Oberleutnant», begann Hanne, «hat meinen Mann getötet.»
«Das stimmt nicht, Hanne.» Rutger Ermkendorfs Stimme klang dumpf, sie hörte sich nach geballten Fäusten an.
«Er hat meinen Mann getötet», wiederholte Hanne. Die Farbe war in ihr blasses Gesicht zurückgekehrt, und ihre Stimme klang nun wieder, wie Rosina sie aus dem Garten kannte. «So ist es gewesen, Rutger. Und nun sei du still. Wille gehörte zu Malthus’ Kompanie», wandte sie sich an Rosina. «Er war der beste Mann, den du dir vorstellen kannst. Ich habe ihn nicht hier getroffen, nicht in diesem Haus. Es war an der Alster, draußen vor dem Dammtor, im letzten Sommer. Ich war im Baumgarten gewesen, und als ich zurückging, saß er am Ufer – er war sehr schön. Für mich war Wille schön. Und er war ein sanfter Mensch. Er
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