Der Tote im Eiskeller
Wohnung in einem Haus befanden, das einem Cousin dritten Grades Madame Heckers gehörte.
Wagner sah sie nun neben der Gastgeberin sitzen. Madame Herrmanns verleugnete ihr heiteres Naturell selten, heute wirkte sie jedoch besonders vergnügt. Offenbar ließ sich Madame Hecker anstecken. Er sah ihr zwar im Plaudern lächelndes, gleichwohl strenges Gesicht und schüttelte den Kopf. Er musste sich geirrt haben. Je länger er darüber nachdachte, umso weniger konnte er sich vorstellen, dass eine solche Dame für zwei Frauen wie die Knebusch und die Ellert log. Warum hätte sie das tun sollen?
So mochte es denn sein, dass sie auch die Nächte der Überfälle im Hecker’schen Gartenhaus verbracht hatten. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken. Die Männer, es mussten wohl doch Männer gewesen sein, die die Überfälle verübt hatten, waren noch nicht gefasst. Da es aber während der letzten Wochen keine weiteren Opfer gegeben hatte, neigte er dazu, sich der allgemeinen Meinung, nach der es damit nun vorbei sei, anzuschließen. Gewiss waren es Fremde gewesen, die nun weitergezogen waren. Von denen gab es ja mehr als genug in der Stadt, und einige unter ihnen waren sicher so verrückt, sich solche Dinge auszudenken. Dieser Schluss entbehrte zwar jeder Vernunft, aber waren die Menschen je vernünftig gewesen?
Allerdings fand Wagner es schon ein bisschen seltsam, dass weder die überfallenen Männer noch Senator van Witten ihn je nach dem Stand der Aufklärung gefragt hatten. Nicht ein einziges Mal. Er würde sie gewiss nicht daran erinnern. Es reichte, wenn der Senator ihn umso häufiger nach der immer noch ausstehenden Klärung der Munitionsdiebstähle fragte.
An Hanne Menzel, die tote Mörderin Viktor Malthus’, musste ihn niemand erinnern. Das geschah schon durch die Bilder in seinem Kopf. Die Vorstellung, wie diese junge Frau allein im dunklen Kerker ihrer Schwindsucht erlag, verstörte ihn immer noch tief. Sie hatte einen Menschen getötet, rachsüchtig und heimtückisch, Mitleid war nicht angebracht, und doch …
Er sah zu den Becker’schen Komödianten hinüber, an diesem Abend waren es nur Helena und Jean, Rudolf und Gesine, Titus und Muto. Wobei Titus nur wenig zu sehen war, er mied feine Gesellschaft stets und half lieber in der Küche, um die Nähe Elsbeths zu genießen, die er seit Jahren so tief wie hoffnungslos verehrte.
Und natürlich war Rosina da. Sie saß mit Karla auf der gepolsterten Bank bei den Fenstern, Wagner hätte gerne gewusst, worüber die beiden so angeregt sprachen. Seine Frau erschien ihm in ihrem Kleid aus dem neuen geblümten Kattun zart und schön wie nie zuvor. Plötzlich stieß sie einen hellen Triller aus, Rosina warf lachend den Kopf zurück, und er wusste, worüber sie sprachen: über die Kanarienvögel, die Rosina Karla geschenkt hatte.
Maline Bernaus Kanarienvögel. Der Gedanke war ihm unbehaglich, auch Maline wäre sicher nicht erfreut, wenn sie wüsste, dass ihre beiden Vögel ausgerechnet in der Wohnstube des Weddemeisters ein neues Zuhause gefunden hatten. Aber Karla liebte die kleinen Sänger, also würde er versuchen, sie zu mögen.
Maline Bernau hatte die Becker’sche Komödiantengesellschaft verlassen, sie war auch nicht mehr in der Stadt. So wie Rutger Ermkendorf. Sie hatten Pferd und Wagen gekauft (Brooks hatte für eine günstige Gelegenheit gesorgt), die Kiste mit der Laterna magica und eine andere, bis zum Rand mit Beuteln und Schachteln voller Samenvon Blumen, Gemüse und Mattis Heilkräutern gefüllte, sowie ihre übrige Habe aufgeladen, den kleinen Wille in einen dick gepolsterten Korb gelegt und so zu dritt die Stadt durch das Steintor verlassen. Niemand wusste, wohin, nicht einmal Rosina. Vielleicht nicht einmal sie selbst. ‹Sie werden es schaffen›, hatte Rosina gesagt, ‹ganz sicher.› Mit trotziger Stimme, so wie immer, wenn ihre Hoffnung größer war als ihre Zuversicht.
Rosina saß immer noch neben Karla. Aber immer wieder glitt ihr Blick zu dem jungen Mann, der neben Monsieur Bocholt saß und dem Älteren mit höflichem Interesse zuhörte. Magnus Vinstedt, das musste Wagner zugestehen, war ein wirklich ansehnlicher und auch angenehmer Mann. Die Linien seines Mundes verrieten Humor, die Ernsthaftigkeit seiner Augen Zuverlässigkeit. Aber Wagner traute den Menschen nicht, und deshalb hoffte er sehr, dass er sich in diesem nicht irrte.
Endlich gelang es Magnus Vinstedt, Monsieur Bocholts Vortrag zu entkommen. Nachdem er ihm noch einen
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