Der Tote im Eiskeller
war. Weil er genauso gut roch wie in ihrer Erinnerung, weil seine Umarmung genauso fest und warm, seine Lippen genauso weich und zärtlich waren. Weil er sein Wort gehalten hatte.
Weil er endlich da war.
KAPITEL 13
Im November 1771
Die Nacht war pechschwarz, kein Stern weit und breit, ein Rauschen lag in der Luft, und von ferne grollte Donner. Nebel stand in dicken Schwaden, wand sich wie ein Schleier im Luftzug, und plötzlich glomm in ihm ein mattes kleines Licht auf. Es wuchs, stieg mit dem Dunst auf, und als der Donner näher kam, das Rauschen zum aufheulenden Wind wurde, dehnte sich das kleine Licht zu einer rasch größer werdenden Fratze, sie verzog sich in teuflischen Grimassen, schwankte vor und zurück, beugte sich, nun von blutrotem Glimmen umgeben, schlangengleich zu den Seiten, hohl und schauerlich lachend. Da sprang eine schwarze Gestalt mit rötlichem Haar, den Degen schon gezückt, dem bösen Spuk entgegen, hieb mit aller Kraft auf ihn ein – doch so viel er auch hieb, immer wich der teufelsgleiche Geist aus und entkam dem tödlichen Schlag. Es schien, als greife er nach seinem Gegner, versuche gar, ihm den Degen zu entwinden – bis er endlich mit wüstem Geheul im Donnergetöse in sich zusammenfiel.
Und die Nacht war wieder schwarz wie zuvor, kein Laut war zu hören – bis auf das Ticken der Standuhr. Es folgte ein erschreckter Schluckauf, und als eine zweite Gestalt mit einem dreiarmigen Leuchter das Dunkel vertrieb, endlich so begeisterter wie erleichterter Applaus.
Rudolf verbeugte sich, geschickt den Leuchter aufrecht haltend, Muto sprang auf, steckte den Degen in die Scheide, verbeugte sich tief, und beide genossen mit glänzendenAugen den Applaus und die Rufe der Begeisterung. Von denen einige allerdings noch recht zitterig klangen.
Die erste Vorführung der neuen Laterna magica vor Publikum war allen Unwägbarkeiten zum Trotz gelungen. Titus kam durch den schwarzen Vorhang und schob den kleinen Wagen, auf dem die Wanne mit dem aufsteigenden Qualm stand, aus dem Gartensaal. Gesine beeilte sich, alle verfügbaren Kerzen anzuzünden, und Rosina, Anne und Helena begannen, Wände und Fenster von den schwarzen Tüchern zu befreien.
Anne Herrmanns war begeistert. Die Vorstellung war ihre Idee gewesen. Als sie hörte, die Becker’sche Laterna magica sei nun bereit, schlug sie eine Premiere in ihrem Gartenhaus an der Alster vor, und obwohl Rosina den Vorschlag nur zögernd überbrachte, waren Jean und Rudolf gleich einverstanden gewesen. Ausnahmsweise aus dem gleichen Grund. Mit Premieren, erklärte Jean, sei es so eine Sache. Besser, sie gehe im kleinen, im Zweifelsfall diskreten Kreis schief, als im gut gefüllten Theater vor einem erwartungsvollen zahlenden Publikum, das immer schnell bereit sei, mit faulem Obst zu werfen und sein Geld zurückzuverlangen. Wer wisse schon, ob die neuen Linsen das geringe Licht der kleinen Öllampe zuverlässig zurückwürfen und vergrößerten, das Probieren im Hinterzimmer im Dragonerstall-Theater habe allerlei Probleme gezeigt. Und wenn ihm auch nicht im Traum einfalle, Rudolfs trickreiche Fähigkeiten infrage zu stellen, sei auch die Qualmerei, ohne die aus dem kleinen Bild kein bedrohlich schwankender Unhold werden könne, unberechenbar.
Sicherheitshalber hatte Rudolf mit der Darbietung unbewegter Bilder begonnen, die schon großes Staunen hervorriefen. Als das Licht aus der magischen Laterne dann eine Windmühle an die weiße Wand zauberte (ein Geschenkvon Maline), deren Flügel sich drehten, noch ein wenig eckig und stockend, aber immerhin, waren die ersten erschreckten und entzückten Laute zu hören. Aber all das war natürlich gar nichts gegen den Nebelspuk gewesen.
«Grandios!», rief Claes Herrmanns in den verklingenden Applaus und sprang, noch einmal in die Hände klatschend, aus seinem Sessel auf. «Wirklich grandios. Ich wollte nicht glauben, dass so ein bisschen Lichterspektakel unter die Haut geht. Aber, zum Donnerwetter, ich hoffe nur, ein solcher Spuk begegnet mir nie, wenn ich nicht wie heute weiß, was da vor sich geht. Ich habe noch nie an den Klabautermann und solchen Unsinn geglaubt, aber jetzt muss ich zugeben, dass ich gerne einen tüchtigen Schluck von Augustas Rosmarinbranntwein hätte.»
«Wie gut ich dich kenne, mein Lieber», klang Augustas Stimme von der Anrichte, wo sie einige kleine Gläser füllte und zu den schon mit Schaumwein gefüllten auf ein Tablett stellte. «Sicher teilen auch andere deinen Wunsch. Lasst uns
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