Der Tote im Eiskeller
auf diese Premiere, auf dieses neue Kunststück der Becker’schen Gesellschaft trinken. Wenn es auch die Komödie niemals besiegen wird, ist es doch eine Kuriosität von eigener Kunstfertigkeit, die allen Respekt verdient. Nimm dir auch ein Glas», fügte sie leiser und nur für Elsbeths Ohren bestimmt hinzu, als die Köchin mit noch zitternden Händen das große Tablett mit den Gläsern nahm.
Alle erhoben ihr Glas, tranken auf Rudolf und Muto und auf Rudolfs Bitte auch auf Meister Godard, den Uhr- und Automatenmacher in der Großen Johannisstraße, der der Becker’schen Gesellschaft die neue Zauberlaterne so fabelhaft Malines nachgebaut hatte.
Wieder einmal saß eine so bunte Gesellschaft um den großen Tisch im Gartenzimmer, wie sie normalerweise in hanseatischen Häusern nicht anzutreffen war. Obwohl dieHerrmanns’, wie es hin und wieder geschah, fahrendes Volk an ihren Tisch gebeten hatten, waren auch die Bachs und die Bocholts gekommen. Letztere hatten sogar ihre älteste Tochter mitgebracht, die so mollige wie sommersprossige Dorothea. Obwohl sie während der letzten Tage fleißig in Madame Herrmanns’ dickstem Gartenbuch gelesen und sich fest vorgenommen hatte, an diesem Abend ihre vermaledeite Schüchternheit zu überwinden, war es ihr bisher nur wenig gelungen, Elias Malthus für sich zu interessieren. Der saß mit ergebenem Blick neben Mademoiselle Lehnert, die wiederum nur Interesse an dem jungen Herrn zeigte, der zu ihrer anderen Seite saß. Er war einer der zahlreichen Neffen Madame Heckers, ein etwas blasser, aber überaus eleganter junger Mann, und wusste hübsch anschaulich von einer Reise nach Venedig, Florenz und Rom zu berichten. Auch rezitierte er Gedichte, zumeist seine eigenen, was alle außer Fenna wenig erbaulich fanden.
Sogar Madame Hecker. Auch sie war der Einladung gefolgt, ohne ihren Gatten, was niemanden überraschte oder betrübte. Überhaupt wurde Madame Hecker neuerdings wieder häufig eingeladen, insbesondere zu den Damenkränzchen, die sie allerdings nach wie vor nur selten mit ihrem Besuch beehrte.
Wagner gab sich alle Mühe, ihr auch an diesem Abend so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Als sie sich äußerst interessiert von Karla die Geheimnisse der Weißstickerei erläutern ließ, schickte er mehr als ein Stoßgebet zum Himmel, seine liebe arglose Karla möge ihr nicht von ihrem Aufenthalt im Spinnhaus erzählen. Erst recht nicht von der Ursache.
Trotzdem schwitzte er an diesem Abend kaum. Dazu war die Erleichterung, dass Weddesenator van Witten samt Gattin wegen einer Unpässlichkeit abgesagt hatte, viel zu groß. Die van Wittens hatten sich noch nie von der Anwesenheit der Komödianten stören lassen, das Gegenteil traf vor allem für Madame van Witten zu, die von Rosinas Gesang entzückt und von Jeans Charme zumindest angetan war. Es war Wagner schon arg genug, wenn er seinen Vorgesetzten im Rathaus treffen musste. Doch dort waren die Regeln klar und einfach. Hier hingegen, jenseits amtlicher Angelegenheiten, wusste er nie, wie tief der Diener sein musste, ob er sitzen durfte, wenn der Senator stand, ob er essen durfte, wenn der Senator … Kurz und gut, der Weddemeister war erleichtert.
Eigentlich fühlte er sich mit Madame Hecker halbwegs versöhnt. Auch ohne ihre Bediensteten zu befragen, hatte er herausgefunden, dass Magda Knebusch und Neele Ellert zumindest am Abend des Todes von Viktor Malthus tatsächlich im Hecker’schen Gartenhaus gewesen waren, um vor dem drohenden Sturm noch so viel Obst als möglich zu pflücken, und dass sie dort auch übernachtet hatten. Nun ja. Für die Nächte der anderen Überfälle musste das nichts heißen … Nun ja. Stand es ihm wirklich an, das Wort einer Madame Hecker anzuzweifeln?
Es hatte tüchtiges Getuschel gegeben, als sich herumsprach, dass Neele Ellert nun wieder zum Hecker’schen Haushalt gehörte, allerdings diente sie ausschließlich in Madame Heckers Gartenhaus. In der Stadt war sie nicht mehr zu sehen, seit sie mit ihrer alten und neuen Herrin die Fronerei verlassen hatte. Auch dass die Knebuschs zum November wieder einen Laden eröffneten, und zwar in bester Lage, nur wenige Schritte vom Jungfernstieg entfernt, gab zu allerlei Spekulationen Anlass. An das unerwartete Erbe eines plötzlich irgendwo im Hannöver’schen verstorbenen Großonkels, das den Neuanfang ermöglichte,mochte niemand so recht glauben. Aber sicher war es nur ein Zufall, dass sich der Laden und die kleine, darüber liegende
Weitere Kostenlose Bücher