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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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stellte ihn heftig zurück auf den Tisch. «Solche Geschichten interessieren unsere Damen wenig, Titus. Wer kann sich schon Eis leisten? Tatsächlich reden alle von etwas anderem.» Er machte eine Pause wie vor einem großen Monolog, zupfte mit spitzen Fingern seine schmutzigen Manschetten zurecht, und Titus setzte sich leise schnaufend auf den Hackklotz kaum einen Schritt von dem Tisch entfernt. Er wusste, was Jean nun erzählen würde. Der Versuch, diese Neuigkeit zu verschweigen, um Helena und Rosina nicht zu beunruhigen, war töricht gewesen. Nach all den Jahren des Reisens waren sie mit jeglicher Art von Verbrechen und Unglück vertraut, und spätestens beim nächsten Gang auf den Markt oder zum Theater würden sie es doch erfahren. Denn Jean hatte Recht: Seit der letzten Nacht sprach die ganze Stadt davon.
    «In der Stadt», begann Jean und setzte sich in Positur, auch in derangierten Kleidern und in einem von der Welt abgeschlossenen Hof fühlte er sich wie auf einer Bühne. «In der Stadt geht ein Unhold um. Eine ganze Horde von Unholden   …»
    «Höchstens drei», unterbrach ihn Titus knurrig. «Das haben alle Überlebenden gesagt: Es seien zwei, höchstens drei gewesen. Lasst euch nicht erschrecken», fuhr er, an Helena und Rosina gewandt, fort, Gesine, die immer noch still auf ihrer Kiste im Hintergrund saß, hatte er völlig vergessen. «Auch ist Unhold ein zu starkes Wort. Echte Unholde töten, das ist klar, diese, nun ja, nett sind die auch nicht, aber sie haben niemanden getötet.»
    «Bis jetzt!», fiel ihm Jean ins Wort, der sich um keinen Preis die fabelhafte Neuigkeit rauben lassen wollte. «Bis jetzt! Sie schlagen immer sehr spät in der Nacht zu, und immer sind ihre Opfer geachtete Männer. Dass ihr Unwesen noch keine Leben gekostet hat, ist nur Zufall. Das beweist, was in der letzten Nacht geschah.»
    Hier, im Drama genau an der richtigen Stelle, setzte er wieder eine effektvolle kleine Pause, die jedoch enttäuschend verlief.
    «Wo ist die Neuigkeit?», stichelte Helena. In einer großen Stadt, in der es so viele Elende und Arme gebe wie Vögel in den Bäumen, wo in den Spelunken am Hafen Matrosen und Abenteurer aus halb Europa ihre Heuer vertränken und verspielten, seien Schlägereien und Überfälle nichts Besonderes. «Wer dumm genug ist, in dunkler Nacht und teuer gekleidet durch die Straßen zu laufen, hat selbst Schuld.»
    Rosina griff wieder nach ihrer Feder, und Helena, die fand, das Leben sei ohnedies zu hart, um sich an solcherlei Geschichten zu ergötzen, prüfte einen neuen Riss in ihrem Schultertuch. Nur Gesine legte die Näharbeit auf ihre Kiste, setzte sich an den Tisch und sah Jean auffordernd an.
    In der letzten Nacht, erfuhren die Frauen, war es wieder passiert, und wieder, als schon die meisten Lichter in den Häusern gelöscht und die Straßen verlassen waren. Diesmal hatten sie ihrem Opfer in der Kleinen Reichenstraße, beim Hofeingang zu der Schreinerei, aufgelauert, sie hatten den Mann geknebelt und ihm die Hände gefesselt, die Augen verbunden und ihn durch den engen Gang geschleppt, der vom Hof zu dem dahinter liegenden Fleet führte.
    «Vorher», unterbrach Titus seinen Prinzipal, «haben sie ihm die Haare geschoren, ratzekahl, jedenfalls fast, sie hatten wohl nur eine Schere. Der Knopfmacher sagt, siehaben ihm dabei ein Ohr abgeschnitten, mindestens ein halbes. Ich finde, es gibt Schlimmeres, sein Hörvermögen wird es kaum beeinträchtigen.»
    «Und dann», Jeans Stimme klang beinahe wieder fest, «haben sie ihm alles geraubt, was halbwegs von Wert war, sogar die Knöpfe von seinem Rock, obwohl die nur aus Horn waren. Schließlich haben sie ihn in das Fleet geschleppt, es war gerade Ebbe, und festgebunden. Dort ist nämlich kürzlich ein Stück des Ufers eingebrochen und mit Eichenpfosten und Astgeflecht wieder befestigt worden. Die Pfosten eignen sich fabelhaft, jemanden daran festzubinden.»
    «Von dem ekligen Morast wird er mächtig gestunken haben, als er wieder rausgezogen wurde», sagte Helena ungerührt. «Andererseits, wenn er aus einer der Spelunken am Hafen kam, hat er das wahrscheinlich schon vorher. Das auflaufende Wasser kann es nur besser gemacht haben.»
    «Das ist ein sehr unchristlicher Gedanke, Helena», rügte Gesine milde. «Der arme Mann, allein im Fleet in der Düsternis, er muss auch furchtbar gefroren haben. Es war doch wohl keiner von den tiefen Kanälen?»
    Jean überging ihre Frage. «Sehen konnte er sowieso nichts, Gesine. Nicht nur

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