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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ging, der Dame des Hauses den Vortritt ließ, was sie in diesem Fall durchaus bedauerte. «Es geht nicht um Euren Vater. Es geht um Viktor Malthus.»
    Fenna entzog Anne abrupt ihre Hand und sprang so hastig auf, dass der Stuhl umgefallen wäre, hätte Thea nicht schnell nach der Lehne gegriffen.
    «Er ist weg», sagte sie. Ihre Stimme klang kalt und tonlos. «Er ist aus der Stadt geritten und hat mir nur noch den Rücken gezeigt. Wollt Ihr mir das sagen?»
    Anne verstand nicht, was sie meinte. «Das hätte er niemals getan. Nein, Fenna, Viktor ist tot. Und du musst jetzt überhaupt nicht tapfer sein.»
    Wenn Anne später an diese Stunde zurückdachte, spürte sie stets ein Frösteln. Sie hatte mit Tränen gerechnet, lautem Jammer, mit einer Ohnmacht. Aber Fenna weinte nicht, sie blieb still und bewegungslos, nur ihr Gesicht zeigte, dass sie die Worte und deren Bedeutung verstanden hatte. Es gefror zu einer weißen Maske, das leuchtende Blau ihrer Augen wurde dunkel und grün. Ein Gesicht, das weniger Schmerz oder Verzweiflung ausdrückte als fassungslosen Zorn.
     
    An Ende der AB C-Straße blieb Weddemeister Wagner stehen und ließ seinen Blick rasch und routiniert über den vor ihm liegenden Gänsemarkt gleiten. Der Platz war einer der größten in der Stadt, wichtige Straßen kreuzten ihn, doch an diesem Spätvormittag war er weniger belebt als gewöhnlich. Am Fuß des hölzernen Glockenturms hockten Bäuerinnen vom Hamburger Berg hinter Körben mit Gemüse, Eiern und hartem trockenem Käse. Einen Weidenkäfig, in dem ein mageres Huhn auf sein Ende im Kochtopf wartete, hatten sie an den Turm gebunden, damit kein flinker Dieb ihn im Vorbeirennen stehlen konnte. Ein mit Fässern und Ballen beladenes Fuhrwerk aus den Gerberhöfen rollte quer über den Platz zum Valentinskamp, der Kutscher musste die Pferde langsam durch die Pfützenund Schlammlöcher führen. Die wenigen flanierenden Damen, die Mägde und Köchinnen mit ihren Körben und die Kontorboten mit eiliger Post suchten sich eng an die Häuser gedrückt ihren Weg.
    Im Portal des Englischen Reitstalls drängte sich eine ganze Traube von Menschen und versperrte die Sicht auf den Anlass ihrer Neugier. Ein heller Triller verriet Wagner, was er nicht sah. Die Leute scharten sich um einen Vogelhändler, gewiss um denselben, den er gestern bei der Börse und vorgestern auf dem Hopfenmarkt gesehen hatte. Es hieß, er komme aus Tirol, der Bäcker bei der Petrikirche hatte behauptet, aus Wien, aber das glaubte Wagner nicht. Er überlegte, ob die Reise von Wien noch länger dauere als von Tirol. Beides bedeutete einen unvernünftig weiten Weg, einzig um Vögel zu verkaufen, die nur hübsch aussahen und mit ihrer Singerei keiner der Nachtigallen Paroli bieten konnten, die im Frühsommer in den Gärten sangen, ohne dass man sie teuer bezahlte. Er musste sich diesen Kerl, dessen unauffällige dunkle Joppe und Hose zu allgemein waren, um als Tracht seine Herkunft zu verraten, doch einmal von nahem ansehen, vor allem sein Passpapier und den Erlaubnisschein zum Verkauf. Die große Stadt zog Gesindel an wie Blüten die Bienen.
    Wagner nahm alles ohne nachzudenken schnell und akkurat wahr, eine Angewohnheit, die sein Beruf mit sich brachte, auch das Mädchen, das barfüßig und mit hochgebundenen Röcken die schlammbespritzte Tür des Konfitürenhändlers an der Ecke beim Durchgang zum Opernhof abwusch. Hätte ihn später jemand danach gefragt, hätte er sich sogar daran erinnert, wie sie ihren schmutzigen Tuchfetzen in einen dieser Ledereimer tauchte, die zum Kampf gegen Brände für jedes Haus vorgeschrieben waren.
    Er entdeckte niemanden, den er kannte, trotzdemdrückte er, bevor er den Platz überquerte, seinen Hut tief in die Stirn. Der Weddemeister war bekannt in der Stadt. Die meisten gingen ihm gern aus dem Weg, doch wer von dem Fund im Eiskeller gehört hatte, würde versuchen, ihn mit unerquicklichen Fragen aufzuhalten. Ganz sicher eilte ihm diese brandneue Nachricht schon voraus.
    Am anderen Ende des Platzes angekommen, spürte er, wie dringend er neue Stiefel brauchte. Zumindest bessere Sohlen für die alten. Es war leichtfertig gewesen, Karla den Stoff für ein neues Kleid zu kaufen. Aber ihre Augen hatten so geglänzt, ihre dünnen Finger so zart den geblümten Kattun gestreichelt, da hatte er das Rechnen vergessen. Was waren ab und zu nasse Füße gegen ihre Freude, ihren glücklichen Kuss? Bis zum Winter würde ihm ein Weg einfallen, Stiefel zu beschaffen. Wenn

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