Der Tote im Eiskeller
Ergebnisse nicht vorenthalten. Jetzt, in diesem Fall, möchte ich besonders schnell wissen, was geschehen ist, und nicht einfach nur abwarten. Vor allem», sie seufzte schwer, «vor allem muss ich wissen, ob es falsch war, Fenna in der Wahl ihres
fiancé
zu bestärken und ihr zu helfen, Claes davon zu überzeugen. Letzteres wiegt am schwersten, ohne seine Zustimmung konnte sie nicht heiraten.»
«Wirklich? Ich dachte, sie sei mündig.»
«Ja, seit einem halben Jahr. Trotzdem hätte Fenna einen so schwer wiegenden Schritt nicht gegen den Willen ihres Vaters getan, und den vertritt Claes.»
«Da hast du dir eine gute Prüfung entgehen lassen.»
«Die Prüfung ihrer Liebe? An der habe ich nie gezweifelt.»
«Nein, ich meine die Prüfung
seiner
Liebe. Stell dir vor: Fenna heiratet ohne diese Erlaubnis, oder besser noch: Sie brennt mit ihm durch. In dieser Stadt seid ihr viel zu bekannt, hier hätten sie schwerlich einen Pastor gefunden, der sie ohne die Einverständniserklärung getraut hätte. Und ohne die Bescheinigung der Wedde. Soviel ich weiß, muss die jeder kirchlichen Trauung vorausgehen. Das hätte bedeutet, dass sie ihre Mitgift, womöglich sogar ihr ganzes Erbe verloren hätte. Wenn er sich darauf eingelassen hätte, wäre das ein höchst edler Beweis seiner Liebe gewesen.»
Anne lachte hell auf, nur wer sehr genau zuhörte, bemerkte, dass es auch erschreckt klang. «Du bist wirklich durch und durch Komödiantin, Rosina», sagte sie. «Was für ein Melodram! Ich finde die Idee gar nicht schlecht, aber ich bitte dich sehr, diesen Gedanken niemals vor Claes zuerwähnen. Denk an seine Tochter. Dass Sophie ihrem allzu reputierlichen Ehemann davongelaufen und mit Jules durchgebrannt ist, wird er ihr vielleicht eines Tages verzeihen, verstehen wird er es nie.»
Auch der Ehe seiner eigenen Tochter hatte Claes Herrmanns damals nur zögernd zugestimmt, aber Sophie war verliebt, abenteuerlustig und von großer Überzeugungskraft gewesen. Und der Mann ihrer Wahl zwar aus einfacher Familie, aber ein vielversprechender junger Kaufmann in Herrmanns’schen Diensten in Lissabon. Ihre Scheidung war ein Skandal gewesen, der die ganze Stadt ergötzt hatte. Außer die Herrmanns’. Anne hatte Sophie verstanden und ihren Mut, aus einer unerträglichen Ehe auszubrechen, bewundert. Trotzdem war sie froh, dass ihre Stieftochter nun auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans lebte. Nicht zuletzt, weil ihre neue, zweifellos bis an das Ende ihres Lebens dauernde Liebe ausgerechnet Jules Braniff war, ein alter Freund ihrer, Annes, Familie. Seit Sophie fort war, seit dicke Briefe in ihrer kringeligen mädchenhaften Schrift das Haus am Neuen Wandrahm erreichten, hatte Claes sie nie mehr daran erinnert (was er in der Zeit davor allerdings zur Genüge getan hatte). Er las diese Briefe, wenn auch nie in ihrer Gegenwart. Sophie war glücklich, das allein sollte zählen. Er würde sich daran gewöhnen, dass sie nun Mrs. Braniff hieß. Es war nur eine Frage der Zeit.
«Ich muss wissen, ob Oberleutnant Malthus ein Opfer war», fuhr sie fort. «Oder – das wäre mir schrecklich, Rosina, und ließe mich selbst an den mageren Resten meiner Besonnenheit zweifeln –, oder ein Täter, der zum Opfer wurde.»
«Ein Täter? Was sollte er getan haben?»
«Wenn ich das wüsste. Claes hat überlegt, ob er womöglich den Waffendieben auf der Spur gewesen und ihnenzu nahe gekommen ist.» Nach kurzem Zögern fuhr sie mit gesenkter Stimme fort: «Da gibt es noch eine andere Möglichkeit. Nämlich dass er daran beteiligt war und nicht mehr mitmachen wollte. Oder nicht mehr gebraucht wurde. Man hört von solchen Dingen.»
Rosina schwieg. Sie hatte Viktor Malthus nicht gekannt, was sie über ihn gehört hatte und nicht erzählen würde, bis es mehr Hand und Fuß hatte als Gassengeschwätz, ließ Annes Sorge mehr als berechtigt erscheinen.
Mit einem leisen, gleichsam umständlichen Räuspern kündigte sich ein Besucher an. Weddemeister Wagner, das Gesicht von der Wärme des Tages gerötet, nahm den Dreispitz ab, drückte ihn an die Brust und verbeugte sich.
«Madame Herrmanns, Mademoiselle Rosina, wenn es erlaubt ist, ein Minütchen zu stören. Es ist – sozusagen – ein glücklicher Zufall, Euch zugleich, ich meine, gemeinsam anzutreffen. Es erspart mir einen Weg, obwohl es mir natürlich immer eine Freude wäre, kein Weg ist zu weit, ich meine – nun ja.»
Seit Wagner im vergangenen Jahr in den Stand der Ehe getreten war und unter
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