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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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selten. Eher würde man sie, Anne, vermissen. Niemand ging aus dem Haus, ohne über das Wohin und wie lange Bescheid zu sagen.
    Sie brauchte frische Luft, eine halbe Stunde nur. Solange würde niemand nach ihr fragen. Noch lieber hätte sie mit Augusta gesprochen. In ihr verbanden sich die Klugheit ihres Alters so angenehm mit Witz und spitzer Zunge. Aber Augusta war nicht da. Wo war sie überhaupt? Wusste jemand, wo sie steckte? ‹Die Sitten im Hause Herrmanns›, dachte Anne, ‹erleiden einen bedenklichen Niedergang.› Sie raffte ihre Röcke und sprang in einem Satz über eine Pfütze.
     
    Wer Maline Bernau zuletzt gesehen hatte, als sie müde von der langen Reise und ängstlich vor den fremden Menschen den Kröger’schen Hof erreichte, hätte sie kaum wieder erkannt. Aus dem im strengen Knoten zusammengefassten schwarzbraunen Haar war eine anmutige Frisur mit aufgerollten und über den Ohren aufgesteckten feinen Zöpfen geworden, statt der dunklen, hochgeschlossenen Kleidung trug sie einen in zwei Rottönen gestreiften Rock, die blassrote Bluse über dem Mieder in gleicher Farbe gaben der hellen Haut über den hohen Wangenknochen eine rosige Frische. Aus der Magd ohne Zukunft war wieder eine junge Komödiantin mit immerhin ungewisser Zukunft geworden.
    Sie hatte den Tisch an das geöffnete Fenster gerückt, Sonne fiel auf ihren gebeugten Kopf, als Rosina das gemeinsame Zimmer im ersten Stock im Haus der Krögerinbetrat. Maline wandte sich nach ihr um, ein freudiges Lächeln flog über ihr Gesicht.
    «Du kommst gerade recht», sagte sie, stellte den Pinsel zu einem anderen in einen mit Wasser gefüllten Napf und wischte die Hände an einem farbfleckigen Fetzen ab. «Die ersten der neuen Glasbilder sind fertig. Sag mir, ob sie gelungen sind.»
    Auf dem Deckel der Kiste, die die Laterna magica barg und nun neben dem Tisch gerückt war, standen vier Kästen mit den alten Glasbildern in ihren hölzernen Rahmen. Sie zeigten Landschaften, liebliche wie dramatische, von denen ein Feuer speiender italienischer Vulkan das Publikum am meisten erstaunen würde, Szenen aus der Bibel, Porträts der Kaiserin Maria Theresia und des preußischen Königs Friedrich   II., auch ein gepanzertes Nashorn und einen Elefanten, einiges Getier aus einem Kuriositätenkabinett, zu dem auch eine dreiköpfige Schlange gehörte, eine Satansfratze über einer schlafenden Jungfrau. In einem Extrakasten warteten besondere Gläserpaare auf ihren Auftritt, sie zeigten bewegte Bilder, eine Attraktion, die häufig Ohnmachten und gestammelte Gebete hervorrief.
    Rosina war alles andere als erfreut gewesen, als Jean erklärte, Maline komme nicht als Komödiantin, sondern als Laterna-magica-Künstlerin. So werde das Repertoire ganz vorzüglich erweitert, Theater gebe es überall und alle Tage, eine Zauberlaterne jedoch   …
    Da hatte Titus sich sehr heftig geräuspert, und Jean war eingefallen, dass er mal wieder einen seiner berüchtigten, wenig empfindsamen Momente hatte und Malines Engagement mit den falschen Argumenten verteidigte. Natürlich, hatte er eilig versichert, gehe ihm nichts über das Theater, über die menschliche Kunst der Darstellung tragischer wie heiterer Schicksale. Das wisse jeder. Von Zeit zu Zeit jedochsei es erforderlich, zusätzlich eine Neuigkeit zu bieten, das beweise nur Weitsicht und kluge Planung.
    Alle, die zur Becker’schen Gesellschaft gehörten, hatten schon Vorführungen mit der Zauberlaterne gesehen. Wenngleich sie die Wunder des Spiels mit dem Licht ebenso erschreckt, verblüfft oder amüsiert hatten wie das übrige Publikum, waren sie darin einig gewesen, dies sei keine echte Kunst und könne das Theater niemals ersetzen oder auch nur mit ihm konkurrieren. Vielleicht waren sie auch so einig gewesen, weil die Billetts erheblich schneller verkauft wurden als die für ihre Vorstellungen.
    Rosina hatte Jeans heimliche Entscheidung als Verrat an ihrer Kunst empfunden und die Notwendigkeit, ihr Zimmer mit Maline zu teilen, als Ärgernis. Doch Maline erwies sich als still und von unaufdringlicher Bescheidenheit, ihr Naturell war heiter, und selbst in melancholischen Stunden, die sie hin und wieder einholten, schien sie keine besondere Beachtung zu erwarten. Rosina hatte schnell begonnen, sie zu mögen, und ihren Vorsatz, die Zauberlaterne und alles, was damit zu tun hatte, so weit als möglich zu ignorieren, vergessen. Sie spürte und las in Malines Gesicht, dass ihr die Laterne mehr bedeutete als eine Gewinn

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