Der Tote im Eiskeller
verdross. Mamsell Thea, die das Servieren übernommen hatte, meldete auch, Mademoiselle Fenna werde in ihrem Zimmer erwartet, der Schneider sei mit einer Auswahl an Trauerkleidern da. Es habe Eile, das Passendmachen werde geraume Zeit in Anspruch nehmen.
So sah sich Anne plötzlich mit Elias allein. Eine unbehagliche Situation, doch als er sich auch gleich verabschieden wollte, bat sie ihn zu bleiben.
«Ich weiß, Monsieur Malthus, Ihr seid in diesen traurigen Tagen noch beschäftigter als gewöhnlich, doch wenn Ihr ein wenig Eurer Zeit erübrigen könntet? Es ist mir ein Bedürfnis, über den lieben Verstorbenen zu sprechen, ein echtes Bedürfnis.»
Das war nur wenig übertrieben, trotzdem fand sie es angebracht, ihm nicht gerade in die Augen zu sehen, sondern sich ganz aufs Kaffeenachschenken zu konzentrieren.
«Natürlich. Ein echtes Bedürfnis.» Elias’ Stimme, eben noch trauerumflort, klang klar, und obwohl Anne überzeugt war, er würde sich das nie erlauben, glaubte sie einen spöttischen Ton zu hören. «Der Tod meines Bruders, Madame», fuhr er fort, «lässt dieses Bedürfnis allseits wachsen wie Gras im Mai. Verzeiht, wenn ich das so schlicht sage, ich unterstelle Euch keine reine Neugier, aber ich weiß sehr wohl, dass Viktor nicht ganz Euren Vorstellungen des bestmöglichen Kandidaten für Mademoiselle Lehnert entsprach. Eure Trauer wird sich also in Grenzen halten.»
«Nun.» Anne stellte die Kaffeekanne behutsam auf den Tisch und suchte nach der richtigen Antwort. Als gute Kundin seiner Handelsgärtnerei kannte sie Elias Malthus seit einigen Jahren, privat, als zukünftigen Verwandten von Fenna, war sie ihm nur zweimal begegnet. Diesen selbstbewusstenTon hatte sie nie zuvor gehört, zum ersten Mal erinnerte er sie an Viktor. So entschied sie, es ihm gleichzutun.
«Ich schätze offene Worte», sagte sie. «Sie machen das Leben leichter. Der Tod Eures Bruders lässt mich nicht gleichgültig, für so kalt könnt Ihr mich nicht halten. Er war ein Mann, der die Herzen leicht gewann. Dass mich der Grund oder der Anlass seines Todes beunruhigt, werdet Ihr verstehen. Es muss Euch ebenso ergehen. Ja, Monsieur Malthus, ich bin neugierig und habe Fragen. Niemand kannte Viktor so gut wie Ihr, das hat er versichert, er …»
«Hat er das? Das erstaunt mich. Warum glaubt alle Welt, dass Brüder einander gut kennen? Viktor war viele Jahre fort. Ich kannte ihn, bevor er unser Haus verließ, was er nach seiner Rückkehr dachte, wie er seine Zeit verbrachte – davon weiß ich nicht viel. Tatsächlich gar nichts. Ihr sagt, er wusste die Herzen leicht zu gewinnen. Das mag zutreffen. Er gehörte aber auch zu den Menschen, die häufig nichts sagen, selbst wenn sie viel reden. Ihr solltet besser meine Mutter nach ihm fragen.»
«Glaubt Ihr wirklich, Mütter kennen sich in Gedanken und Tun ihrer erwachsenen Söhne aus? Euer Lächeln ist mir Antwort genug. Ihr und Viktor hattet gemeinsame Pläne für die Zukunft, Ihr müsst miteinander gesprochen haben.»
Elias nahm ein Mandeltörtchen von der Platte, drehte es in den Fingern, als suche er die köstlichste Stelle, und legte es endlich auf seinen Teller.
«Wir haben miteinander gesprochen, sicher, auch über das, was Ihr unsere gemeinsame Zukunft nennt. Er wollte ins Zivilleben zurückkehren und mein Kompagnon werden. Das wisst Ihr. Monsieur Herrmanns hat unsere Verhältnisse gründlich geprüft, wie es als Vormund seinePflicht war. Ich will Euch nicht verhehlen, Madame, dass mich seine Einwilligung überrascht hat. Denn auch wenn mein Bruder», er gab dem Törtchen mit spitzem Finger einen unwilligen Schubs, er war es nicht gewohnt, mit Frauen über solche Dinge zu sprechen, «wenn Viktor sich zum Handelsgärtner machen wollte, wäre seine Position eine untergeordnete geblieben. Zumindest bis er genug von diesem Metier gelernt hatte, und das nimmt etliche Jahre an Übung und Erfahrung in Anspruch. Ohne Erfahrung geht in der Gärtnerei nichts. Das werdet Ihr als passionierte Gartenliebhaberin wissen. Ich nehme an, Ihr wisst auch, wie gering er im Testament unseres Vaters bedacht war. Und falls Ihr das Gerede um unsere Familienangelegenheiten und den Tod meines Vaters gehört habt: Er hatte nicht vor, sein Testament zu ändern.»
Das war das Stichwort, auf das Anne gewartet hatte, eines der Stichworte, aber immerhin. Sie schlug brav die Augen nieder und seufzte. «Ja, das Testament. Davon habe ich reden gehört. Nicht von meinem Mann», log sie, «Monsieur
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