Der Tote im Eiskeller
sie ihnen nicht selbst widerfahren. Du bist sehr gut mit Pinsel und Farbe. Wo hast du das gelernt?»
Wieder hoben sich Malines Schultern gleichmütig. «Bei niemandem. Oder doch, Meister Glarus hatte ein Buch. Er hat mir auch die Farben erklärt und wie man sie richtig verwendet, damit die Bilder für die Zauberlaterne taugen. Alles andere – man muss es nur versuchen. Es ist ganz einfach. Du könntest es auch.»
«Nein», sagte Rosina entschieden und erinnerte sich an die Verzweiflung ihres Zeichenlehrers, der vor vielen Jahren nicht begreifen konnte, dass die Tochter einer den Künsten verbundenen Mutter mit Pinsel und Zeichenstift ebenso wenig Bereitschaft wie Talent zeigte. «Ich konnte immer nur gut singen und tanzen, ich wollte auch nichts anderes. Wenn ich etwas male, erkennt keiner, was es darstellen soll. Du hast nie erzählt, wie du zu deiner Stellung bei diesem Meister gekommen bist.»
Maline beugte sich über ihre Farben, griff nach dem Schabmesser und begann an einem tiefroten Farbstein zu kratzen. «Du meinst, weil es nicht üblich ist, dass eine Komödiantin in einem ordentlichen Haus als Magd aufgenommen wird?»
«Als was auch immer aufgenommen wird. Ja, so ähnlich.» Rosina spürte, dass Maline dieses Thema unangenehm war.Aber wenn es bei Fahrenden auch nicht Sitte war, zu genau nach dem Woher zu fragen, hatte sie lange genug gewartet. Irgendwann wollte ihre Neugier befriedigt sein. «Männern gelingt das hin und wieder», erklärte sie, was Maline selbst wissen musste, «insbesondere Studenten, die auf dem Theater für einige Zeit das Abenteuer und manchmal auch die Kunst gesucht haben oder denen schlicht das Geld für die Universität ausgegangen war. Aber uns Frauen?»
«Ja», sagte Maline. «Uns Frauen.» Sie hob das Papier mit dem Farbpulver an, klopfte den bunten Staub in die Mitte und ließ ihn behutsam in eine der Schachteln rieseln. «Ich habe einfach Glück gehabt», fuhr sie endlich fort. «Als meine Mutter starb – mein Vater war schon vor langer Zeit gestorben – und unsere Gesellschaft sich auflöste und in alle Winde verstreute, war ich der Wanderei müde. Der Optiker suchte gerade eine neue Magd, die ihm den Haushalt führte. Es war wie ein Glückstreffer in der Lotterie. Meister Glarus ist ein netter alter Mann, ein Herr. Er hat mich immer gut behandelt und nie wie andere – er hat nie Falsches verlangt.» Ihre Stimme klang heftig, als könne Rosina vermuten, er habe sie in sein Haus geholt, um sein Bett und seinen alten Körper zu wärmen. «Er lebte allein, und weil die Arbeit in seinem Haus mir genug Zeit ließ, durfte ich ihm in kleinen Dingen in seiner Werkstatt helfen. Er ist nicht nur Optiker, er versteht sich auf alle mechanischen Dinge. Er ist ein wirklich guter Mechanicus, seine Barometer und Fernrohre sind unvergleichlich, und seine mechanischen Apparate mögen Spielerei sein, für mich sind sie Wunderwerke. Besonders die mit den Glöckchen und Vögeln. Meine Zauberlaterne hat er auch selbst gebaut, und weil ich sie zu bedienen weiß und die meisten der Glasbilder in diesen Kästen gemalt habe, hat er sie mir zum Abschied geschenkt.»
«Eine wertvolle Gabe», fand Rosina. «Er muss dich sehr geschätzt haben.»
«Und warum nicht?! Ich glaube», erklärte Maline sanfter, «ich habe ihn an seine jüngere Tochter erinnert. Er hatte eine Miniatur, die kurz bevor sie starb gemalt worden war. Vielleicht sehe ich ihr wirklich ähnlich.»
«Warum bist du nicht dort geblieben?»
Maline dreht sich um und sah Rosina an. Ihr Gesicht wirkte angestrengt, doch sie begann zu lächeln. «Ich habe schon gehört, dass du ein Ausbund an Neugier bist. Ich bin nur fortgegangen, weil ich es musste. Seine Augen wurden so schwach, dass er diffizile Arbeiten nicht mehr tun konnte. In seinem Metier ist jede Arbeit diffizil. Als seine Brillen und Vergrößerungslinsen nur noch seinen Kunden halfen, aber nicht mehr ihm, hat er sein Haus und die Werkstatt verkauft. Sein Geselle, im letzten Jahr hatte er nur noch den einen, wartete schon darauf, endlich seinen Platz einzunehmen und selbst Meister zu werden. Meister Glarus wollte, dass ich bei ihm bleibe, ich hätte ihn gut versorgt und meine Augen für ihn sehen lassen. Aber seine ältere Tochter», sie nahm einen der Pinsel aus dem Glas und tupfte ihn behutsam trocken, «ist gut verheiratet und ihr Haus geräumig. Sie hat dafür gesorgt, dass er zu ihr zog, und ich musste gehen. Sie hatte von Anfang an geargwöhnt, ich werde ihren Vater
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