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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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arbeite jeden Tag, und keiner kann sagen, ich täte was, was ich nicht soll. Das kann keiner. Und wer’s doch tut, der lügt.» Sie sah seinen verständnislosen Blick, errötete plötzlich und begann die blutige Schürze zusammenzulegen, was bei blutigen Schürzen völlig überflüssig war. «Ihr wollt zum Wundarzt, natürlich», fuhr sie hastig fort. «Da müsst Ihr ein wenig warten, er ist beschäftigt. Ich kann Euch nicht empfehlen, jetzt hineinzugehen. Ihr würdet nur gleich wieder davonlaufen, und das ist nicht gut. Wenn man einen Wundarzt braucht, muss man», sie atmete noch einmal tief ein und aus, «muss man Mut schöpfen und eintreten. Dann hat man es bald hinter sich und – du meine Güte, ich rede schon wie er. Setzt Euch auf die Bank neben der Tür. Ich hole Euch, wenn er fertig ist. Was für Beschwerden quälen Euch? Denn zweifellos quält Euch was, sonstwäret ihr nicht hier. Gewiss nicht freiwillig. Ihr wäret doch sonst nicht hier? Oder?»
    Wagner schluckte. Er hatte mit Schreien und Blut gerechnet, keinesfalls mit einem solchen Redeschwall.
    «Ja.» Er setzte sich gehorsam auf die Bank, nur um gleich wieder aufzuspringen. «Ich meine nein», erklärte er und fingerte nach seinem großen blauen Tuch, «Ihr irrt Euch. Ich habe keinerlei Beschwerden. Es geht mir gut. Ich bin völlig gesund. Völlig. Keinerlei Leiden, wirklich nicht. Ich muss nur den Wundarzt sprechen, in amtlicher Angelegenheit. Es geht um die Ereignisse bei der Flut.» Die Panik in seiner Stimme legte sich, und er fuhr ruhiger fort: «Ja, in amtlicher   …»
    Ein jammernder Schrei aus dem Innern des Hauses unterbrach ihn, und eine harsche Stimme rief: «Verdammt, Marie, wo bleibst du denn?»
    Der nächste Fluch rutschte über ihre Lippen, diesmal nicht ganz so leise, und sie verschwand im Haus.
    Wagner sah auf die Bank, sah auf die Tür, warf einen ergebenen Blick zum Himmel und folgte ihr. Im Flur war es dämmerig, auf einer alten Truhe, die dringend ausgebessert werden musste, lagen eine rote Jacke und ein Dreispitz, der eine Bürste brauchte, in einer Ecke ein Mantelsack, der bessere Tage oder lange Reisen gesehen hatte. Die Tür am Ende des Flurs war halb zu einem behaglichen Wohnzimmer geöffnet, eine weitere an der rechten Seite geschlossen, die an der linken Seite vor der Stiege zum oberen Stockwerk stand offen. Über allem lag ein Geruch wie in einer Apotheke und von geschmortem Kohl. Wieder hörte Wagner ein Jammern, zaghaft nur, und eine tiefe Männerstimme murmelte Unverständliches, als spreche sie zu einem nervösen Pferd. Endlich trat Wagner ein.
    Niemand beachtete ihn. Auf einem Tisch hockte mitnacktem Oberkörper ein nach vorn gekrümmter Mann, seine Arme hingen schlaff herab, seine Stirn lehnte an der Schulter der Frau, die der Wundarzt Marie gerufen hatte. Sie hielt den Patienten, angestrengt die Lippen aufeinander gepresst, mit beiden Armen umfangen.
    «Gleich hast du es überstanden», murmelte der über den Rücken gebeugte Arzt, «noch ein Stich. Jetzt. Du sollst atmen, verdammt, sonst fällst du mir noch vom Tisch, das willst du doch nicht, oder? In Gegenwart von Weibern passiert das einem Soldaten nicht. So, und jetzt halt kurz den Atem an – gut. Gleich ist es vorbei. Geschafft.»
    Ein ersticktes Schluchzen antwortete, Pullmann legte seinem Patienten die Hand auf die Schulter. Die Hand, die am saubersten war.
    «Jetzt bekommst du einen Verband, und dann schwörst du mir zwei Dinge. Erstens: Du wäscht dich ab heute regelmäßig. Und nicht nur Gesicht und Hände. Zweitens: Du wartest beim nächsten Furunkel nicht wieder, bis er so groß ist, dass ich nicht nur schneiden, sondern auch noch nähen muss. So ein eiterndes Ding bringt dich blitzschnell um. Ich verstehe euch Kerls nicht, ihr trampelt willig in jeden Krieg und fürchtet euch vor dem Wundarzt.»
    Er nahm ein reines Stück Tuch von einem Stapel, der auf einem Extratisch wartete, strich eine Salbe darauf und legte es behutsam auf die Wunde zwischen den Schulterblättern. «Und egal, was passiert, du kommst jeden dritten Tag zu mir. Sag deinem Kompaniechef, es gibt Ärger, wenn er es nicht erlaubt. Jeden dritten Tag. Auch wenn es ein Sonntag ist. Verstanden? Und wer seid Ihr?», wandte er sich plötzlich zu Wagner um. «Ihr seht aus, als hättet Ihr einen wehen Zahn. Ein Aderlass zur Reinigung des Blutes würde Euch auch gut tun, Euer Gesicht ist viel zu rot. Und haben wir heute nicht frische Egel bekommen, Marie? Dassind muntere, stets durstige

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