Der Tote im Eiskeller
Tierchen, die einen so blutigen wie heilsamen Dienst tun.»
Wagner war nicht in der Stimmung, einen Scherz zu bemerken. «Nein», sagte er und wippte nervös auf den Fußspitzen. «Ich …»
«Das ist der Weddemeister Wagner», erklärte Marie, fast wieder so blass wie vorhin. «Er will Euch amtlich sprechen. Amtliches muss warten, habe ich ihm gesagt.»
Pullmann nickte. «Der Weddemeister, soso.» Er begann geschickt einen langen Streifen Tuch über die Wunde und um den Oberkörper des Kranken zu wickeln. «Gleich habe ich unseren Freund hier verarztet. Er sieht nicht so aus, als könnten wir ihn sofort zurückschicken», wandte er sich an seine Helferin, «bring ihn in die andere Stube, Marie, er soll sich eine Stunde ausruhen, besser zwei. Dann ist er auch wieder halbwegs nüchtern. Gib ihm ein Beutelchen von dem Tee aus dem zweiten Glas von links in der oberen Reihe mit, davon soll er dreimal am Tag einen Becher trinken. Und wenn du mehr tun willst, was ich dir sehr empfehle, Junge, sorge dafür, dass deine Kleider nicht nur gewaschen, sondern auch ausgeräuchert werden. Alle. Am besten mit Schwefel. Deine Stube auch.»
Er wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und hob mit einem Finger das Kinn des jungen Soldaten. «Hast du das gehört?»
Der Mann, tatsächlich fast noch ein Junge, nickte, wischte sich noch einmal aufschluchzend über die feuchten Wangen und rutschte von der Tischkante. Er blieb auf wackeligen Beinen stehen. «Dreimal», nuschelte er. «Ausräuchern. Alle.»
Seine Fuselfahne streifte Wagners Nase, mischte sich mit dem Geruch von Eiter, Blut und der Salbe. Er staunte, dass ihm nicht übel wurde.
«Ich fürchte, ich habe ihn ein bisschen zu viel trinken lassen», sagte Pullmann mehr zu sich selbst als zu seinem Besucher und stieß die Fensterflügel weit auf. Er schob die blutigen Tücher zusammen, warf sie mit seiner und Maries Schürze und den Instrumenten in eine hölzerne Wanne, nahm die Schüssel mit dem blutigen Wasser und ließ Wagner allein. Gleich darauf quietschte im Hof die Pumpe, und Wagner sah sich um.
Anders als er es sonst bei Wundärzten und Badern kannte, war der Raum vom Fußboden bis zu den beiden Tischen und dem offenen, mit Tüchern, Holzkästen, allerlei Tiegeln und Flaschen gefüllten Schrank sauber – einmal abgesehen von den Resten von Blut und Eiter, die die gerade überstandene Operation hinterlassen hatte. Nur auf der Fensterbank lagen neben einer angebissenen Birne zwei tote Wespen. An der Wand hing eine Urkunde. Sie war in der Sprache der Gelehrten verfasst, und Wagner, der nie mehr als die geringsten Grundkenntnisse des Latein gelernt hatte, verstand nur, dass sie von einer Schule für Chirurgen in Paris und für Davidus Pullmann ausgestellt worden war.
Deshalb also. Die Ratschläge, die Reinlichkeit – Pullmann war mehr als ein gewöhnlicher Wundarzt.
«Ah, Ihr habt meinen kostbarsten Besitz entdeckt.»
Wagner hatte den Chirurgen nicht eintreten gehört, er fühlte sich ertappt. Pullmann lächelte müde. Er trug nun ein knittriges, aber reines weißes Hemd. Mit seiner kräftigen, nur mittelgroßen Gestalt hätte er als Soldat in der Hamburger Garnison keine Chance gehabt. Sein Gesicht war in seiner Jugend kantig gewesen, nun zeigte es weichere Züge, seine Augen verrieten einen Hang zur Melancholie und sein dichtes braunes Haar war, obwohl er kaum die Mitte der dreißig überschritten haben mochte, von grauenFäden durchzogen. Er stellte die mit frischem Wasser gefüllte Schüssel auf einen Stuhl, einen Eimer daneben, und begann den Tisch zu säubern.
«Warum will nur niemand glauben, dass Schmutz krank macht. Aber deshalb seid Ihr nicht gekommen, nehme ich an. Setzt Euch», er deutete mit dem Kinn auf den zweiten Stuhl, «und erzählt mir, was ich für Euch tun kann. Gesunde verirren sich selten in dieses Haus.»
Er leerte die Schüssel zum Fenster hinaus und tauchte den Lappen in das frische Wasser des Eimers; während er seine Arbeit fortsetzte, erklärte Wagner den Anlass seines Besuchs. Erst als der Inhalt des Eimers dem der Schüssel gefolgt war, sah Pullmann den Weddemeister wieder an.
«Ihr seid also auf der Suche nach diesem armen Teufel», sagte er und ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. «Wahrscheinlich glaubt Ihr, er habe mit Oberleutnant Malthus’ Tod zu tun. Oder er sei gar der Mörder. Richtig?»
«Warum denkt Ihr das?»
Pullmann lachte, seine grauen Augen verzogen sich zu Schlitzen. «Ihr habt es selbst gesagt:
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