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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Ihr wisst seinen Namen nicht? Oder bei wem er wohnt? Wenn er hier war, muss er in der Stadt wohnen. Der Weg von der Marsch ist für einen so schwer Verletzten viel zu weit.»
    «Ihr unterschätzt die menschliche Natur. Manche überleben tagelange Wege, wenn sie Hilfe brauchen. In der Marsch hat in jenen Tagen doch niemand gewohnt, da war nur Wasser und Schlamm, es heißt, sogar die Frösche seien ertrunken. Was weiß ich, woher er kam. Ich habe nicht gefragt. Vielleicht ist er in einem der Dörfer auf der Geest untergekrochen, vielleicht wohnt er in der Stadt. Hoffentlich nicht in den elenden Löchern in den Gängevierteln, das überlebt ein Rekonvaleszent kaum. Nicht mal mit einer Bärennatur.» Er lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und schlug die Beine übereinander. Wagner hatte den Eindruck, als lausche Pullmann auf etwas. Bevor er fragen konnte, setzte sich der Wundarzt wieder auf.
    «Andreas», sagte er, «die Frau hat ihn Andreas genannt. Oder Anders. Und der andere Mann? Das weiß ich ganz sicher nicht, er hat immer draußen gewartet. Das tun viele, die Kranke herbegleiten. Deshalb steht dort die Bank.»
    «Und die Frau?»
    Pullmann hob bedauernd Schultern und Hände. «Kein Name. Sie war noch sehr jung, wie der Bauer. Aber wartet. Marie!!», rief er.
    Marie, nun in frischer Schürze, öffnete erstaunlich schnell die Tür. «Der Soldat schläft», berichtete sie eifrig,«er liegt auf dem Bauch und schläft seinen Rausch aus. Soll ich ihn schlafen lassen?»
    «In Gottes Namen, ja. Das ist das Beste, was er jetzt tun kann. Wenn er nicht vorher aufwacht, kann er bis morgen bleiben. Dann kann ich ihn gleich noch einmal zur Ader lassen. Gib auf deinem Weg nach Hause in der Großneumarkt-Wache Bescheid, sonst glauben sie noch, er ist desertiert und empfangen ihn morgen mit Gassenlaufen. Mein Diener und Gehilfe», erklärte er Wagner, «hat mich im Stich gelassen. Marie ist jetzt nicht mehr nur für die Küche da. Marie, du erinnerst dich sicher an den Bauern, dem ich den Arm amputieren musste. Erinnerst du dich auch an den Namen der Frau, die ihn hergebracht hat? Oder des Mannes, der draußen auf der Bank gewartet hat?»
    «Nach der Flut?» Marie spitzte die Lippen, und ihre dunklen Augen wurden kugelrund. «Als sie die Deiche eingerissen haben? Nein, Monsieur, mit denen habe ich doch gar nicht gesprochen.»
    «Aber sicher habt Ihr gehört, wie sie miteinander geredet haben», mischte sich Wagner ein. Er begann, sich wie in einem der Lustspiele der Becker’schen Komödiantengesellschaft zu fühlen, was er allerdings überhaupt nicht lustig fand. «Da sagt man doch auch Namen.»
    «Haben die aber nicht getan, Weddemeister, leider. Ich meine, ich habe das nicht gehört. Vielleicht haben sie’s ja getan, als ich gerade nicht da war.»
    «Danke, Marie.» Pullmann nickte ihr zu, und Marie verließ den Raum. An der Tür sah sie noch einmal über die Schulter, und plötzlich wusste Wagner, woher er sie kannte. Und warum sie gleich gewusst hatte, wer er war, obwohl er seinen Namen nicht genannt hatte. Sein Gesicht verzog sich, als habe er auf eine Zitrone gebissen. Oder auf die Frucht einer Berberitze, was nicht besser war.
    «Habt Ihr nun genug Antworten?» Pullmann schob den Stuhl zurück und stand mit plötzlichem Schwung auf.
    «Ja», sagte Wagner, «das heißt nein, natürlich nicht. Aber wenn Ihr nichts wisst, könnt Ihr auch nichts antworten. Auf eines könnt Ihr aber ganz sicher antworten: Hat der Bauer Euch gleich bezahlt, oder hat er um Aufschub gebeten?»
    Nun lachte Pullmann laut und – vielleicht – ein bisschen befreit. «Weder noch», erklärte er. «Weil ich nichts von ihm verlangt habe. Ein Mann, dem gerade alles Hab und Gut vernichtet wurde, der nicht weiß, wie er sich und die Seinen ernähren soll, hat nichts, einen Chirurgen zu bezahlen, nicht einmal einen Kohlkopf oder einen halben Schock Eier. Außerdem», fügte er fromm hinzu, «darf ich nur die Soldaten der Garnison behandeln. Die Ärzte und Chirurgen Eurer Stadt lassen so leicht niemanden an ihre Pfründe. Was ich nicht darf, kann ich mir auch nicht bezahlen lassen. Das versteht Ihr sicher. Falls Ihr meine Untat im Rathaus oder beim Kriegsrat bekannt geben wollt, spart Euch die Mühe. Oberleutnant Malthus hatte mir als der befehlshabende Offizier erlaubt, mich um den Verwundeten zu kümmern. Ich könnte sogar sagen: befohlen. Wenn ich diese Erlaubnis auf die weitere Behandlung ausgedehnt habe – wer wollte so unchristlich

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