Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
doch auch auf den von Nebenflussarmen umschlossenen Spadenland, Tatenberg und Ochsenwerder lebten Menschen, zumeist kleine Kätner, inmitten der Äcker und der Weiden, auf denen ihr Vieh stand, das den Hamburgern Milch, Butter und Fleisch lieferte.
    Nicht zum ersten Mal wurden in der Geschichte der alten Stadt Deiche durchstochen, um Schlimmeres abzuwenden, doch zum ersten Mal hatte das Militär die Männer mit den Spaten vor der Wut der Bauern schützen müssen.
    «Und nun denkt Ihr», fragte Wagner, «die Bauern haben sich am Militär gerächt, indem sie einen der Offiziere umbrachten? Das klingt unvernünftig. Die Entscheidung hat der Rat getroffen und empfohlen hat es Baumeister Sonnin, er hat berechnet, dass nur diese furchtbare Maßnahme die Stadt retten könne und wo sie auszuführen sei. Obwohl nicht alle seiner Meinung waren, hat er letztlich Recht gehabt.»
    «Erzählt mal den Leuten in der Marsch, eine Stadt sei schwerer wieder aufzubauen als ein paar Gehöfte und Katen. Nein, so allgemein meine ich es nicht. Die Bauern habendamals versucht, uns an unserer Arbeit, die ohnedies gefährlich genug war, zu hindern, sogar Frauen und Kinder waren dabei. Alles war voller kleiner Boote. Andere waren noch auf ihren Wiesen, weigerten sich, sich wegbringen zu lassen, und versuchten, den Deich zu verteidigen. Wir hatten das gut im Griff, nur einmal, gleich am ersten Tag, wurden sie wahrhaft rabiat, dem befehlenden Offizier blieb nichts übrig, als über ihre Köpfe schießen zu lassen, um ihnen einen ordentlichen Schrecken einzujagen.»
    Wagner erinnerte sich an diesen Aufruhr und pfiff leise durch die Zähne. «Und der Offizier war Oberleutnant Malthus.»
    «Richtig. Über die Köpfe, hat er befohlen. Ich habe es selbst gehört. Das war milde gedacht, bei Aufruhr schießt normalerweise kein Soldat
über
die Köpfe. Kann sein, dass er sich den Bauern irgendwie verbunden fühlte. Wer in einer Gärtnerei aufgewachsen ist und bald dorthin zurückkehren will, denkt vielleicht so. Trotzdem hat sich eine Kugel – sagen wir: verirrt und einen der wilden Kerle getroffen. So ist das eben, wenn man sich gegen die Obrigkeit und unvermeidliche Maßnahmen stellt. Er kann sich glücklich schätzen, weil es nicht der Kopf, sondern nur ein Arm war.»
    «Nur ein Arm», murmelte Wagner, «wirklich großes Glück.» Etliche der Kätner in den Marschen konnten sich und ihre Familie schon kaum mit zwei Armen ernähren. «Weiß jemand, wer es war? Wie er heißt?»
    «Leider nicht. Sonst wäre ich schon dort und würde mir den Mann vorknöpfen. Aber mit Eurer Spürnase, Weddemeister», sein Gesicht verzog sich wieder in jungenhaftem Grinsen, «werdet Ihr ihn bald aufspüren. Falls Ihr für diesen Besuch bewaffnete Begleitung braucht, lasst es mich wissen, es wäre mir eine Freude.»
    Wagner sah dem Fähnrich nach, wie er mit leichtem Schritt zur Wache zurückging, und fühlte sich mutlos. Die Summe der vagen Vermutungen und Verdächtigungen war bisher schon groß genug gewesen, und nun noch rabiate Bauern? Wie sollte er den Mann mit dem zerschossenen Arm finden? Wenn er überhaupt noch lebte. In so eine Wunde kam schnell der Brand, und dann war es aus. Wenn niemand beherzt zur Säge griff, was auch nicht unbedingt hieß, dass der Verletzte überlebte. Falls er tot war, mochte es erst recht jemanden geben, der seinen Zorn mit Rache kühlen wollte.
    So oder so – wer sein Haus unter der Flut verloren, wem das Unglück gar den Bankrott beschert hatte, war kaum zu finden. Viele waren nun ohne Obdach und versuchten auf den Straßen der Stadt oder in den Wäldern zu überleben. Einige mochten bei Verwandten untergekrochen sein, falls sie welche in von der Flut verschonten Regionen hatten. Aber wo? Bei wem? Es war wenig aussichtsreich, in den Marschen nach dem Mann mit dem zerschossenen Arm zu fragen. Auch wenn viele ihrer Bewohner schon zurückgekehrt waren, würde in dieser Sache niemand einem Weddemeister Auskunft geben. Was nicht richtig war – aber hätte er selbst es anders gemacht?
    «Weddemeister! Wartet.» Börne kam mit langen Schritten zurück. «Mir ist etwas eingefallen. Als der Mann getroffen war und das Blut spritzte, schrie die Frau, die neben ihm davongerannt war, wie auf der Streckbank. Wahrhaftig, beim Gedanken daran läuft es mir jetzt noch kalt den Rücken hinunter. Der Mann blieb liegen, und sie hockte sich neben ihn und versuchte mit ihren Röcken das Blut zu stillen. Alle anderen rannten weiter. Es war kein Vergnügen,

Weitere Kostenlose Bücher