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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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der Stadt ist unserem Rat nicht viel wert. Auf den Bastionen stehen Kanonen und Mörser, die für die Kriegskunst vor hundert Jahren dienlich gewesen sein mögen, für heute –doch das gehört nicht hierher. Ich will nicht behaupten   …» Er sah sich nach den Soldaten um, die keine zwei Schritt weit Wache standen und das Gespräch mit großen Ohren verfolgten. «Kommt», sagte er, «lasst uns ein paar Schritte über den Markt gehen.»
    «Ich will nicht bestreiten», fuhr er leiser fort, als sie hinter dem Brunnenhaus Schutz vor neugierigen Augen und Ohren gefunden hatten, «dass es bei uns Männer geben mag, die es mit der Ehrbarkeit nicht ganz so genau nehmen, wie Major Breinhardt denkt. Für ihn ist so etwas unvorstellbar. Wir sind auch nur Menschen, und unter 2000   Mann, ob Soldaten oder Zivilisten, gibt es immer ein paar Lumpen, die Gesetz und Ehre vergessen und dafür den Galgen riskieren. Aber doch nicht Malthus. Auf keinen Fall. Der hatte es auch gar nicht nötig, er musste nur noch ein wenig warten, ein oder zwei Jahre, dann hätte die Hälfte der Gärtnereien seiner Familie ihm gehört. Deshalb wollte er die Uniform ausziehen. Und Gärtner werden, von mir aus auch Kaufmann, das hört sich besser an. Für mich ist das unbegreiflich, aber bitte, jeder nach seinem Geschmack.»
    «Aha?», sagte Wagner. «Die Hälfte der Gärtnerei. Und woher, mit Verlaub, wisst Ihr das?»
    Börnes Augenbrauen hoben sich, und seine Unterlippe schob sich vor. «Oh», sagte er, «ich dachte, Ihr wüsstet davon. Ich wäre Euch verbunden, wenn Ihr niemandem sagtet, von wem Ihr das gehört habt. Ich bin sicher, dass es stimmt. Malthus hat es mir selbst erzählt. Er neigte dazu, die Welt leicht und in schönen Farben zu sehen, was ich sehr an ihm mochte, es gibt genug Griesgrame auf der Welt. Er neigte aber nicht dazu, Unsinn zu erzählen.»
    «Und wie sollte das gehen? Sein Bruder war der Erbe, ich kann mir nicht vorstellen, dass der die Hälfte hergeben wollte.»
    «Kaum. Ich habe schon zu viel gesagt, Weddemeister, fragt besser Madame Malthus. Doch nun vergesst mal den Unsinn mit dem Erbe, dem Geld, den Diebstählen und diesen ganzen schnöden Kram. Kümmert Euch lieber um die Bauern, die sind rabiate Kerle, erst recht, wenn es um ihr Eigentum geht.»
    «Die Bauern? Was hatte er mit denen zu tun? Sein Bruder Elias, der natürlich, der hat Samen von ihnen gekauft und wohl auch Pflanzen, aber   …»
    «Ach was, Pflanzen, Weddemeister. Ich meine den Aufruhr, als nach der Flut die Deiche durchstochen wurden. Ihr müsst doch wissen, was damals geschehen ist.»
    Das wusste Wagner natürlich. Als in der Nacht vom 8. auf den 9.   Juli zuerst der große Neuengammer Elbdeich brach, als das Wasser mit unbeherrschbarer Kraft die Marschen unter sich begrub, hatte auch in der Stadt große Angst geherrscht. Diesmal war kein Sturm schuld gewesen. Nach einem eisfreien Winter hatte der Wettergott im März doch noch bittere Kälte und tüchtig Schnee geschickt, dann ließen Tauwetter und Dauerregen die Elbe hoch anschwellen. Von der Oberelbe kam schon im Mai die Kunde von schweren Überschwemmungen, und der Strom stand hoch wie schon sehr lange nicht mehr. Doch als der Deichvogt nach gründlicher Prüfung der Vierländer Deiche Sicherheit für die Marschen vor Hamburg versprach, besonders an der kritischen Stelle der Flussbiegung, wo das Wasser stets zuerst angriff, wich die Sorge trotz des kalten regenreichen Sommers. Mitte Juni erreichte der Fluss seinen höchsten Stand, und es schien, als wollte das Wasser niemals ablaufen. Das tat es schließlich doch, allerdings nicht ins Meer, wohin es gehörte. Es durchbrach den von Wühlmäusen unterhöhlten Neuengammer Deich, riss weitere Löcher und ergoss sich unaufhaltsam in die Marsch. Es vernichtete dieErnte, ersäufte viel Vieh, jagte das Geflügel in die Bäume und riss Ställe, Scheunen und kleine Katen mit sich, als seien sie aus Pappe, es unterhöhlte und durchspülte Gehöfte und selbst steinerne Sommerhäuser.
    Nach fünf Tagen stand die Flut auf einer Fläche von drei Meilen Länge und bis zu zwei Meilen Breite, vom Krauel bis vor das Hamburger Deichtor, drängte gegen die Schleusen, bis sie beinahe barsten, und bedrohte die Stadt. Endlich ordnete der Rat an, die Deiche der im überfluteten Gebiet durch ihren gemeinsamen Innendeich noch verschonten südlichen inselgleichen Areale zu durchstoßen. So fand das Wasser Raum, und die Stadt blieb verschont. Das hörte sich gut und einfach an,

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