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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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denn als sie erwachte, trug sie keine Maske mehr. Vlado verließ gerade den Raum. Von Onkel Kolja war nichts mehr zu sehen. Der Hund lag ganz still in ihrer Nähe und betrachtete sie aufmerksam.
    Es tat immer noch furchtbar weh, während Tatjana das Folterinstrument zwischen ihren Beinen entfernte und die Fesseln löste.
    »Guter Film«, murmelte sie. Sie wirkte jetzt freundlich und fürsorglich. Juri erschien mit einem kleinen Teewagen. Tatjana legte eiskalte Kompressen auf die Wunden und hielt Britta ein Tuch unter die Nase, das stark nach Kampfer roch und Britta in einen leichten Dämmerzustand versetzte.
    Dann gab Juri ihr eine Spritze in den Arm. Er ging dabei so routiniert vor, daß Britta sicher war: Dies war hier nicht zum erstenmal geschehen.
    Aber mir ist es zum erstenmal passiert, und sie werden es wieder tun. Mich quälen, mich filmen, bis ich tot bin. Wie nennt man diese Filme, in denen das Opfer wirklich getötet wird? Splash? Nein … egal. Ich bin ihnen ins Netz gegangen. Niemand vermißt mich. In meiner Firma bedeutet ein Telefongirl gar nichts. Lizzi wird sich meinetwegen auch nicht extra anstrengen. Sie denkt, ich hätte in Europa etwas Besseres gefunden. Und sie meidet die Polizei, wohl aus gutem Grund.
    Und Richard? Nein, nur keine Illusionen. Männer lieben süße, sinnliche und anwesende Frauen. Er wird nichts sagen, damit seine Frau nichts erfährt.
    Mehrmals kämpfte sie gegen eine Ohnmacht an. Sie wollte sich ausruhen. Pläne machen. Das in die Tat umsetzen, was sie nun ganz und gar erfüllte und bewegte: Ich will hier raus!
    Juri nahm sie auf die Arme und trug sie in ihr Zimmer zurück. Wie ein Bräutigam die Braut über die Schwelle trägt, dachte sie. Ob er ihr helfen würde, wenn sie ihn anflehte? Gewiß nicht. Er war ein Zombie. Ein Roboter. Vielleicht hatten sie ihm die Seele ausgetrieben?
    Er legte sie vorsichtig auf das Bett und deckte sie mit einem leichten, kühlen Laken zu. Er war klein und muskulös und hatte ein nettes, freundliches Gesicht. Blaue Augen mit weißen Wimpern. Der Anschein trog. Er war nicht freundlich. Was mochte ihn veranlassen, bei diesem grausamen Spiel mitzumachen?
    Er ging. Britta wußte, daß sie einen Entschluß zu fassen hatte. Nie hätte sie sich vorstellen können, daß Schmerzen so apathisch und entschlußlos machen konnten.
    Sie zwang sich, noch einmal den Blick aus dem Fenster vor ihr inneres Auge zu zitieren. Der Sims? Nicht zu schaffen. Die Tür? Absolut unmöglich. Abseilen?
    Es konnte tödlich sein. Aber alles hier war tödlich. Da waren ihre beiden Laken. Die Decken? Tischdecke, Bettüberwurf dort auf dem Stuhl. Im Bad hingen zwei große Badelaken. An der Wanne war seitlich ein Duschvorhang aufgehängt. Unmöglich war es nicht. Alles mußte sehr fest zusammengeknotet werden. Und sie würde dafür sorgen müssen, daß sie nicht dabei überrascht wurde. Zuerst mußte sie sich ausruhen und einen klaren Kopf bekommen.
    Und wenn sie vorher kommen und mich töten? Nein, daran darf ich nicht denken. Ich werde jetzt ganz stark sein. Ganz ruhig warten, bis es Nacht ist.
    Als die Dämmerung einsetzte, begann sie, Tücher und Decken im Badezimmer zu sammeln und aneinander zu knoten. Die Laken auf dem Bett und die Tischdecke ließ sie liegen. Sie würde sie erst zuletzt anfügen. Falls jemand ins Zimmer kam, sollte er keinen Verdacht schöpfen.
    Wirklich betrat jemand den Raum. Sie rief aus dem Bad: »Juri? Ich bin hier!« und bemühte sich, das Seil zwischen Wanne und Toilette zu verstecken. Das Bad ließ sich nicht verriegeln. Natürlich nicht. Würde Juri oder wer immer da drinnen war das Fehlen der Bettdecke bemerken? Sie hörte Schritte, ein Rasseln – wieso denn das? –, wieder Schritte, noch ein Rasseln. Sie drückte die Spülung. Lauschte. Wartete.
    Die Tür nebenan ging. Sie spähte durch einen Türspalt ins Zimmer. Es war leer. Die Person hatte ihr Brote und ein Getränk hingestellt. Wie die Hexe in ›Hänsel und Gretel‹: Sie mästeten ihr Opfer für den Hauptgang.
    Die Lampen waren eingeschaltet. Der Raum wirkte beinahe anheimelnd. Britta schleppte sich zum Fenster. Sie erstarrte. Die Jalousie war heruntergelassen. Sie war aus Metall. Unmöglich, sie leise zu öffnen. Falls sie sich überhaupt ohne Schlüssel oder einen geheimen Hebel öffnen ließ.
    Britta zwang sich, das zweite Fenster zu überprüfen. Dasselbe. Doch am dritten Fenster hatte der Mechanismus gestreikt. Die Jalousie war nur zu gut zwei Dritteln herabgerollt und hing schief

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