Der Tote im Grandhotel
Sheriffs und Kommissare lebten Jagdinstinkte aus. Da wurde der verständliche Wunsch nach Recht und Ordnung und manchmal wohl auch der Hang zum Petzen aktiviert, der schon kleinen Kindern eigen war.
Als Fachmann fühlte man sich zwiespältig, wenn man solche ungebetene Hilfe bekam. Machte auch viel Arbeit. Dumme Tips von Übereifrigen. Privaten Feinden sollte eins ausgewischt werden. Trotzdem fanden die blinden Hühner öfter ein Korn.
Wedel eilte durch den Park nach Hause. Totensonntagstimmung. Gut, wenn man seine Oase hatte. Monica würde das Essen fertig und den Wein zum Öffnen hingestellt haben.
Mady Saparonsky hatte ihm heute nachmittag ihre Theorie mitgeteilt, fix und fertig aus der Jeanstasche: Dealer-Ehepaar wollte an Kurier liefern. Andere kriminelle Bande war ebenfalls interessiert. Sie drangen ins Hotelzimmer ein, erschossen den Kurier und … und … ja, wie war es? Jaaa. Sie nahmen die Frau mit und töteten sie unterwegs. Auch den Mann fingen sie vor dem Hotel ab und karrten ihn ebenfalls zu der bewährten und beliebten Mülldeponie. Peng! Yes, Sir!
Jeden Tag stand so etwas in der Zeitung. Chicago war längst auch in Berlin. Aber Wedel wußte: An diesem Fall war irgend etwas faul. Er fühlte das unangenehme Kribbeln das Rückgrat hinunter, wenn er daran dachte. Und die Gedanken drängten sich in seine Freizeit, das war gar nicht gut.
Wenn die Russen-Mafia dahintersteckte, war Aufklärung ziemlich aussichtslos. Die italienische Mafia funktionierte immerhin nach gewissen Regeln, aber bei der Ost-Kriminalität herrschte das organisierte Chaos. Viele kochten da ihr Süppchen. Manche arbeiteten noch für'n Appel und 'n Ei.
Es gab angeblich Tarife: Finger brechen: dreihundert Mark. Einfacher Mord: tausend Mark. Mit Benzin übergießen und anstecken wurde teurer. Drei Schüsse für eine Person signalisierten angeblich eine Strafaktion, und das in etwa konnte auf den Toten im Hotel zutreffen, wenn man es großzügig auslegte. Konnte, mußte nicht.
Die Mitglieder der Banden rekrutierten sich nicht nur aus ihren Mutterländern. Nach der Auflösung der russischen Standorte in den neuen Bundesländern waren Ex-Soldaten gestrauchelt, aus Angst, in ihrer Heimat keine Wohnung zu bekommen, aus Abenteuerlust, was auch immer. Ein Motiv gab es stets. Meistens ging es um Geld. Sehr viel Geld oder nicht so sehr viel – auch das war schließlich relativ.
Monica und Bernd Wedel sahen sich die Sendung ›XY – ungelöst‹ zusammen an. Ihr ›Fall‹ war nachgestellt, soweit das nach den bisherigen Erkenntnissen möglich war.
Sie hatten Schauspieler genommen, die ein bißchen den Phantombildern ähnelten. Eine Stimme im Off belehrte jeweils darüber, ob es sich gerade um eine Erkenntnis oder um eine Vermutung handelte.
Das Erscheinen des Opfers wurde riesig ausgemalt, ein liebevoll inszenierter Mord. Die kleine Frau versteckte sich hinter dem Sessel, doch die Banditen zerrten die Schluchzende hervor und nahmen sie mit. Der reale, gefährliche Bastelkasten wurde gezeigt. »Wer kann Angaben dazu machen? Wer kennt einen der Beteiligten? Hinweise nimmt …« und so weiter.
Wedel stöhnte auf: Jetzt trat doch wirklich sein Chef in Erscheinung! Das hatte das Aas sich nicht nehmen lassen. Einerseits war Wedel gekränkt, war es doch sein Fall. Andererseits aber, im Grunde seines Herzens, fühlte er sich auch erleichtert. Er war nun mal kein Mann der Öffentlichkeit.
Sein Chef stellte sich in Positur und warnte: »Die Szene ist besonders gefährlich. Bitte, unternehmen Sie nichts auf eigene Faust.«
Es tat Wedel wohl, daß Monica sagte, der Schlips von Herrn Brettschneider sei ja schauderhaft, und seine Haarsträhnen über der Glatze hätte er auch etwas geschickter färben können.
»Der Kerl hat mich ausgetrickst«, sagte er.
»Mensch, Bernd, mein Hase. Sei doch froh. Hättest dich da von jungen Schnöseln rumkommandieren lassen müssen. Du magst doch solche Sachen gar nicht. Hast du doch auch wirklich nicht nötig.«
»Hast ja recht. Trotzdem …«
»Hauptsache, es bringt etwas, irgendeine Erkenntnis.«
»Na, da bin ich skeptisch.«
Ausnahmsweise war sein Skepsis unangebracht.
Es gab drei recht interessante Anrufe. Zwei der Tips erwiesen sich trotzdem als Fehlschläge, aber der dritte war endlich die Stecknadel im Heuhaufen.
Eine Frau hatte angerufen. Wedel fand es in diesem Falle richtig, Mady Saparonsky mitzunehmen, denn so ein Gespräch von Frau zu Frau löste oft die Zungen.
Die Frau hatte Angst.
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