Der Tote im Grandhotel
vorstellen, wer der neue Chef werden würde. Lucie strömte ja jetzt schon förmlich über vor Wohlwollen, wenn es um den Prokuristen Schöttler ging.
Als Richard nach Hause kam, scherzte Lucie: »Wie siehst du denn aus, Lieber? Ist das Räuberzivil? Und du riechst, als wärst du in einer Hafenspelunke gewesen.«
Richard erschrak, aber er sagte sich: Sie weiß nichts. Es war ein Zufallstreffer.
»Ich hatte eine Besprechung mit Schott, dem Architekten, und zwei Bauherren. Araber. Sie bauen im kastilianischen Stil und lassen alles aufwendig vergittern. Die Kerle wollten unbedingt in eine ›In-Kneipe‹. Nicht mein Geschmack, aber was tut man nicht alles fürs Geschäft? Ich muß duschen.«
Er fühlte den Druck der Makarow an seinem Hüftknochen. Jawohl, melde dich, Harry, unser Boot ist da. Keine Polizei! Alles nach Wunsch.
Am nächsten Tag gab Richard Hornung die gewünschte Anzeige auf.
8. Kapitel
Britta erwachte. Es war Nacht. Der Fernseher flimmerte noch. Automatisch tastete sie nach der Fernbedienung und stellte den Apparat ab. Ihr Rücken schmerzte, die Stelle auf der Brust, wo Vlado die Zigarette ausgedrückt hatte, brannte scharf und heiß. Trotzdem fühlte sie sich erholt. Das Leben war nun einmal nicht unbedingt nett zu einer alleinstehenden jungen Frau mit etwas … nun, abenteuerlichen Neigungen.
Auch als Angestellte im New Yorker Großraumbüro war man in gewisser Weise Foltermethoden unterworfen. Morgens um 8 Uhr 30 begann der Dienst – per Stechuhr registriert. Zu spät kommende wurden bestraft durch Lohnabzug. Wenn es häufiger geschah, wurde man gefeuert.
Es waren Anrufe zu beantworten, gewünschte Reisen zusammenzustellen, bei vagen Plänen war Hilfestellung zu geben. Es kam auf Geschick und Beweglichkeit an.
Sogar Anfragen aus der Schweiz oder aus Großbritannien liefen hier zusammen. Der Anrufer wußte dabei meist gar nicht, daß er mit New York telefonierte, wenn seine Verbindung von Genf nach Paris oder von Heathrow nach Tegel in das Computernetz eingespeist wurde. Das Netz war worldwide. Jede Strecke, jeder Flughafen war drin. Alle Daten standen zur Verfügung. Bereits registrierte Kunden waren sofort als solche zu erkennen.
War eine gewünschte Maschine bereits ausgebucht, oblag es der Sklavin im Großraumbüro, dem Kunden eine andere Maschine, einen anderen Termin, eine veränderte Strecke aufzuschwatzen.
Auch eine teurere VIP-Class kam in Frage. So etwas mußte zu schaffen sein, wollte man nicht bald weg vom Fenster. Charmant sein, lieb und flexibel – jedes Gespräch wurde abgehört und zum späteren Abhören mitgeschnitten. Die Pause zwischen zwei Gesprächen durfte nur sehr kurz ausfallen. Das wurde kontrolliert.
Fünfzehn Minuten Frühstückspause, keine Minute länger. Hastig eingeworfener Lunch. Schluß um fünf Uhr am Nachmittag. Dann war man wirklich fertig. Brittas unmittelbare Vorgesetzte war schwarz, eine herrische Person, wahrscheinlich aus Angst, selbst abzustürzen, wenn in ihrer Abteilung etwas schieflief.
Weiße und farbige Mädchen arbeiteten hier gemeinsam. Britta gefiel das. Es war lustiger und nicht spießig. Aber hart war der Job, es bildeten sich ›Hornhaut auf der Seele und Schwielen im Gemüt‹, wie Lizzi sagte, Brittas schöne Freundin Lizzi mit ihrer Haut wie Milchkaffee. ›Zum einen Ohr rein, zum anderen raus‹, war ihr gemeinsames Motto.
Sie teilten sich das Apartment in Manhattan, in dem Tag und Nacht der Straßenlärm zu hören war. Man gewöhnte sich daran, übertönte ihn mit Musik aus dem Recorder. Teuer war das Apartment. Nicht zu bezahlen mit einem so geringen Einkommen. Britta war auf Nebeneinnahmen angewiesen, wenn sie sich auch noch hübsch kleiden, reisen und gelegentlich ausgehen wollte. Auch Lizzi hatte da so ihre Quellen.
Britta erhob sich leise. Niemand außer ihr schien im Zimmer zu sein. Doch bestimmt wurde sie auf irgendeine Art kontrolliert. Immer unter Kontrolle. Vom Regen in die Traufe. Mit Richard Hornung hatte sie sich für kurze Zeit frei und glücklich gefühlt. Eigentlich war auch das wohl nur eine Illusion gewesen, und selbst dafür strafte sie der Himmel.
Britta schlich zum Fenster. Unten lag der Park. Die Wege waren gesäumt mit Reihen sanft glimmender Solarleuchten. Das Fenster ließ sich ohne weiteres öffnen. Wunderbar klare Nachtluft strömte herein, vermischt mit dem Duft von Gras und Laub.
Über den Himmel zogen sehr langsam seltsame, langgestreckte Wolken, innen schwarz, mit weißen Rändern, wie
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