Der Tote im Grandhotel
Luftschiffe von einem anderen Stern. Begegnung der dritten Art.
Brittas Zimmer lag im ersten Stock. Sie überlegte flüchtig, ob sich eine Flucht lohnen könnte. An einem Laken abseilen? Springen? Klettern? Es gab einen Sims über den unteren Fenstern. Aber sie war sicher, daß es nicht funktionieren würde.
Diese pompöse Villa kannte sie aus ihren Träumen, vielleicht auch aus dem Kino. Sie wurde sicher sorgfältig bewacht. Wahrscheinlich lief auch die gelbe Dogge draußen frei herum. Möglicherweise gab es ja einen ganzen Zwinger voll gelber, blutrünstiger Bestien mit scharfen Zähnen hinter gierigen Lefzen?
Britta trottete zum Bett zurück. Es gelang ihr, wieder einzuschlafen.
Als sie erwachte, war heller Morgen. Juri brachte ein Paket in dem Einwickelpapier einer chemischen Reinigung. Er nickte ihr kurz und ernst zu.
»Guten Morgen, Juri.«
Er schüttelte mürrisch den Kopf. Es sah fast nach schlechtem Gewissen aus. Er ging für kurze Zeit ins Bad und verschwand dann wieder. Britta stellte fest, daß jetzt Zahnbürste und Zahnpasta, Hautcreme und sogar Watte-pads da waren.
In dem Paket war ihr Armani-Anzug. Das stimmte sie zuversichtlich. Warum sollten sie einer Todeskandidatin noch ihren Anzug reinigen lassen?
Ihre optimistische Natur siegte wieder. Sie drehte sich nackt vor dem Spiegel. Leichte Striemen, die verheilende Stelle auf der Brust. Sie hatte gelesen, daß Masochistinnen sich kaum in öffentliche Bäder trauten, wo die Leute unfreundlich auf ihre Wunden und Striemen starrten.
Britta machte sich sorgfältig zurecht und kleidete sich an. Sie zog einen Stuhl ans Fenster, setzte sich und schaute hinaus in den stillen Park.
Nach einiger Zeit fuhr ein Sportwagen vor. Vlado stieg aus. Er sah fabelhaft aus, wie Kevin Costner und Richard Gere zusammen, ein Mann, wie man ihn in freier Wildbahn normalerweise nicht traf. Er trug zu einem dunkelgrauen Anzug ein weißes Oberhemd. Sehr seriös. Man hätte kaum vermuten können, daß er junge Frauen schlug und mit glühenden Zigaretten folterte.
Er war einer von ihnen. Vielleicht sogar in führender Position. Britta konnte es kaum fassen: Sie war in den Händen einer östlichen Mafia. Die Zeitungen waren ja voll davon. Morde und Sprengstoffattentate in Berlin wurden kriminellen Russen zugeschrieben, die nach der Wende eingeströmt waren.
Im allgemeinen machten sie wohl die Fehden unter sich aus: Prostitution, Rauschgift, Waffen, Schutzgeld, Ikonenschmuggel. Aber sie hatte sich naiv in die Schußlinie begeben.
Jeden Augenblick erwartete sie den schönen Vlado. Sie fürchtete und erhoffte sein Erscheinen in einem Atemzug. Würde er sie wieder quälen? Schlimmer als das letztemal? Behandeln wie ein Stück Dreck?
Nun, sie war gebadet, gekämmt, sie roch nicht übel. Ihr Selbstbewußtsein hatte sich gehoben. Trotzdem erschien ihr dieser Vlado als die bedrohlichste Figur überhaupt. Onkel Kolja, nun ja, es war nicht das erstemal gewesen, daß Britta an einen Mann mit merkwürdigen Sexpraktiken geraten war. Die Klinke wurde heruntergedrückt. Ihr brach der Schweiß aus. Aber es war Juri.
»Frau, komm.«
»Frau, komm«, das hatten, wie sie von ihrer Mutter wußte, nach dem letzten Weltkrieg russische Soldaten gesagt. Es war die Einleitung zu einer Vergewaltigung gewesen.
Und jetzt? O Gott, und jetzt?
Juri stieg vor ihr die Treppe hinunter, sie folgte mit weichen Knien. Er wandte sich nach rechts und öffnete eine Tür. Dort saßen Onkel Kolja und der schöne Vlado nahe beim Fenster am gedeckten Frühstückstisch. Sonne fiel auf Geschirr mit weißblauem Zwiebelmuster.
Onkel Kolja streckte ihr die Hand entgegen. Vlado lüftete gar den Hintern ein wenig. Onkel Kolja wies auf einen Stuhl. Britta setzte sich vor ein Frühstücksgedeck.
Es gab Brötchen und Brot auf einer Platte, Butter im auseinandergefalteten Papier, Marmelade und Honig in etwas verklebten Gläsern, Wurst und Schinken und eine Schüssel mit Rühreiern sowie Kaffee und Tee.
Eine Flasche Wodka stand auf dem Tisch. Auch neben ihrer Kaffeetasse entdeckte Britta ein Wasserglas, in das nun Onkel Kolja, der gütig lächelnd sein Wolfsgebiß enthüllte, einen tüchtigen Schuß einschenkte.
Ihr gingen Filmszenen durch den Kopf, in denen Opfer vergiftet oder durch Drogen gefügig gemacht wurden. Doch was sollte sie tun?
Sie hob ihr Glas, Onkel Kolja und Vlado hoben ihre Gläser. Sie lächelten beide, und so lächelte sie auch. Sie tranken einander zu, was für eine Farce, ein Hohn auf echte
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